Josef Quack

"Wo sind all die Indianer hin?"
Wider die "politisch-korrekte" Meinungsdiktatur




Wo sind all die Indianer hin?
Wann verlor das große Ziel den Sinn?
So wie Chingachgook für das Gute stehn,
Als letzter Mohikaner unter Geiern nach dem Rechten sehn.

Hartmut Engler / Ingo Reidl

Dieser Tage konnte man im Hessischen Rundfunk erleben, wie der Moderator sich fast die Zunge bei dem Versuch abbrach, eine „politisch-korrekte“ Umschreibung zu finden für das verpönte Wort „Indianer“. Herauskam schließlich ein Gestammel über die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents, dessen Namen ja auch im Sinne der „politisch- korrekten“ Meinungsmacher nicht ganz koscher ist, da auch er eine Fremdbezeichung der europäischen Entdecker und späteren Einwanderer ist. Doch ist logisches Denken nicht die Stärke dieser durch nichts und niemand legitimierten Sprachzensoren, meist namenlose Vertreter drittrangiger Disziplinen, die statt objektive wissenschaftliche Forschung zu betreiben, dem großen Publikum irgendwelche Sprachnormen vorschreiben.

Der entscheidende Grund, warum das Wort nach der „politisch-korrekten“ Meinung nicht mehr erlaubt sein soll, ist der, daß es eine Fremdbezeichnung einer Volksgruppe ist. „Politisch-korrekt“ wäre demnach nur das Wort, mit dem sich die Volksgruppen selbst bezeichnen.

Dagegen muß man einwenden, daß viele Indianer Nordamerikas die Fremdbezeichnung übernommen haben und sich selbst American Indians nennen. Am bekanntesten wurde das vielgenannte „American Indian Movement“. Die alternativen, angeblich politisch unbedenklichen Bezeichnungen, die in Wikipedia, dem Internet-Lexikon, angeboten werden, sind „Native Americans“ und „indigene Völker“. Beide Ausdrücke sind aber falsch. „Indigen“ und „native“ heißt „eingeboren“. Die Indianer sind aber nicht eingeboren, sondern eingewandert – wie die weißen Siedler nach Kolumbus.

„Die Besiedlung Nord-, Mittel- und Südamerikas erfolgte über die Beringstraße, wo bis in die Periode nach der letzten Eiszeit eine Landbrücke bestanden hat. … Nach dem Stand der heutigen Forschung können wir mit einiger Bestimmtheit sagen, daß 20 000 bis 12 000 Jahre v. Chr. jagende Nomandenstämme von Asien nach Alaska eingewandert sind.“ Nach dieser Einwanderungswelle kamen noch bis 3000 v. Chr. zwei asiatische Einwanderungswellen. Zu den letzten Einwanderern zählen die Vorfahren der heutigen Apachen und Navajos. (Hans Helfritz, Amerika. Inka, Maya und Azteken. Wien 1996, 18ff.)

Ein offizieller Beleg, daß die nordamerikanischen Indianer selbst den von den Weißen gebrauchten Namen „indians“ für sich übernommen haben, findet sich in dem schändlichsten Dokument, das je über sie und gegen sie verfaßt wurde, in einem demokratischen Gesetz der USA von 1830, der „Indian Removal Bill“ (Indianer-Aussiedlungs-Gesetz):

„Durch dieses Gesetz hebt die Legislatur alle Rechte, Privilegien, Freiheiten und Bürgerrechte, die jene Personen, die sich Indianer nennen, besitzen, beanspruchen oder deren sie sich erfreuen, durch welche Rechtskraft irgendeiner Politik, Gewohnheitsrecht oder Lebenssitten sie auch immer erworben, versprochen oder zugesagt sein mögen, innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen dieses Staatenbundes auf.“

Mit Recht heißt es, daß das schändliche Gesetz, „nicht seinesgleichen hat in den Gesetzestexten der gesamten Menschheitsgeschichte!“

Ein Jahr später entschied das Oberste Bundesgericht ganz im Sinne jenes Gesetzes, „daß die Indianer keine amerikanischen Bürger seien, sondern Angehörige binnenländisch abhängiger Nationen, und an die Verfassung der USA weder gebunden noch von dieser geschützt sind“. (Joe Hembus, Westerngeschichte 1540-1894. München 1981, 80ff.) Erst nach 1900 wurde das Bürgerrecht der Indianer in den USA anerkannt.

Übrigens hat der Historiker Fritz Stern in seinem Gespräch mit Helmut Schmidt, Unser Jahrhundert (2010, 65) daran erinnert, daß man in den sechziger Jahren in Amerika angefangen hat, nicht mehr von "Indians", sondern von "native Amercans" zu sprechen. Mit diesem Ausdruck wollte man betonen, daß die Indianer auch Amerikaner sind. Man hat den neuen Ausdruck nicht deshalb gewählt, weil man das Wort "Indians" als diskrimirend empfunden hätte. Schließlich nannten sie sich ja selbst Indians. An diesem Beispiel sieht man wieder, daß die politische Korrektheit, die den Gebrauch dieses Wortes verpönt, meist von Dummheit und Unverstand nicht zu unterscheiden ist.

Fritz Stern äußert auch die Hoffnung, daß man mehr oder weniger aufhören werde, "über Afro-Amerikaner zu reden, sie sind Amerikaner — Punkt" (l.c. 227). In beiden Fällen, im Fall der Indianer und der Schwarzen, geht es darum, zum Ausdruck zu bringen, daß beide Volksgruppen gleichberechtigte Amerikaner sind. Das gleiche Problem gab es ehedem für die irischen Einwanderer, es ist heute vor allem brennend für die Hispanics. In allen Fällen soll die Anerkennung dieser Menschen als amerikanische Bürger mit allen Rechten und Pflichten garantiert werden; wenn dies gesichert ist, wird die Benennung der benachteiligten Volksgruppen zweirangig oder gar unwichtig.

Nach diesen sprachlichen und historischen Klarstellungen dürfte deutlich geworden sein, daß das „politisch-korrekte“ Verbot, das Wort „Indianer“ zu gebrauchen, absolut unbegründet ist. Das Verbot führt auch zu absurden Konsequenzen. Nach dieser Denkungsart beleidigt und haßt ein Sprecher, der dieses Wort gebraucht, die Indianer. Wer nun behauptet, er verurteile den Indianer-Haß, verwendet selbst das verbotene Wort und gilt deshalb auch als Indianer-Hasser. Absurder geht’s nimmer. Ein weiterer Beleg für die sprachliche Inkompetenz dieser Sprachpolitik treibenden Schulmeister.

Zu dieser unsinnigen Sprachregelung aber wäre zweierlei zu sagen.

Erstens, das von den „politisch-korrekten“ Meinungsführern propagierte und tatsächlich schon in weiten Kreisen durchgesetzte Verbot, von Indianern zu sprechen, ist eine ungeheure Anmaßung von Leuten, die dazu in keiner Weise berechtigt sind. Sie wollen eine Zensur der öffentlichen Meinung durchführen, was eindeutig dem Grundgesetz widerspricht. Hier heißt es zur Meinungsfreiheit in Artikel 5: „Eine Zensur findet nicht statt“.

Es ist eine unglaubliche Anmaßung, einen jahrhundertalten Sprachgebrauch zu verbieten und eine jahrhundertlange Tradition zu verneinen. Die Folge dieser Anmaßung wäre ein Verbot eines großen Teils der Abenteuer- und Jugend-Literatur und zahlreicher Wildwest-Filme.

Man muß sich nur mal die schulmeisterlichen Wortführer dieser Verbotsbewegung ansehen und sie mit einem James Fenimore Cooper vergleichen, um zu erkennen, daß wir es hier mit erbärmlich kleinen Geistern zu tun haben. Hier wissenschaftlich fragwürdige und weltanschaulich beschränkte Figuren, die sich als Vormund der Öffentlichkeit aufspielen, dort der großartige, landes- und volkskundige Schriftsteller, der die nordamerikanischen Indianer mit ihren guten und schlechten Seiten beschrieben und in dem rot-weißen Paar von Lederstrumpf und Chingachgook ein Ideal des vertrauten Zusammenlebens geschildert hat.

Einer der schlimmsten Indianer-Hasser war übrigens leider Mark Twain. Seine literarischen Verdienste als Erfinder und Gestalter eines witzigen Idioms sind unbestritten, seine Meinung und Schilderung des Indianer-Problems sind jedoch mit dem größten Vorbehalt zu betrachten.

Zweitens fällt bei der ganzen Affäre auf, daß die eifrigsten Nachbeter, Befolger und Vermittler der "politisch-korrekten" Redeverbote die öffentlich-rechtlichen Medien sind. Ohne diese Multiplikatoren in dem quasistaatlichen Rundfunk und Fernsehen hätte sich die "politisch-korrekte" Meinungsdiktatur niemals in der Öffentlichkeit in diesem erschreckenden Ausmaß durchsetzen können.

Das äußerst betrübliche Faktum aber besteht darin, daß die Mehrheit der deutschen Wähler sich die Bevormundung durch das obrigkeitsstaatliche Mediensystem seit Menschengedenken widerspruchslos gefallen läßt.

Dies ist wohl der stärkste Beweis dafür, daß der Untertanengeist der Deutschen, den Heinrich Mann geschildert, oder die „Knechtseligkeit“ der Deutschen, die Bert Brecht beschrieben hat, bis heute fortbestehen. Es ist aber dieselbe Disposition der Deutschen, die sie das quasistaatliche Mediensystem ertragen läßt und die es ermöglicht hat, daß sich die unsinnigen Verbote der „Politischen-Korrektheit“ bei uns in diesem Ausmaß durchsetzen konnten.

© J.Quack — 29. Mai 2023 / 28. Aug. 2023


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