Hello again, ich sag einfach hello again
Professor Unrat war bekanntlich ein Spezialist für die Partikeln, die nichtssagenden Flickwörter bei Homer, über die er seit zwanzig Jahren eine wichtige Arbeit förderte: immer mal wieder, traun fürwahr, nun denn also. Wer über das Wörtchen „hallo“ schreibt, kommt leicht in den Verdacht, dem gleichen Spleen verfallen zu sein wie der Nebendinge treibende Schulmann, der die Künstlerin Fröhlich aufforderte, immer mal wieder in Eilmärschen die Stadt zu verlassen. Doch ist dem nicht so; denn „hallo“ spielt eine unverächtliche Nebenrolle im menschlichen Miteinander der Zeit.
„hallo“ ist eine Interjektion oder ein Ausrufewort, ein Ausdruckswort, ein Empfindungswort und diese Begriffe deuten schon Funktion und Sinn dieser Wörter an. Harald Weinrich schreibt in seiner Textgrammatik (1993) dazu: „Interjektionen sind Sprachzeichen, deren Bedeutung darin besteht, beim Hörer ein lebhaftes Interesse für die gegebene Situation zu erregen“, und „hallo“ rechnet er zu der Gruppe der Interjektionen, die sich „durch eine besonders starke Situationsbindung“ auszeichnen. Dies heißt nichts anderes, als daß „hallo“ ein Anruf ist, mit dem der Sprecher Aufmerksamkeit erregen will, wie es in der Duden-Grammatik (1984) heißt.
Gemeint ist damit der Gebrauch des Wortes zum Beispiel beim Telephonieren. „Hállo“, meist auf der ersten Silbe betont, heißt hier soviel wie „Wer ist da?“ oder „Wer spricht?“. Es ist eine fragende Interjektion, die wir auch verwenden, wenn wir in ein leeres Geschäft kommen und rufen: „Hállo“, d.h. „Ist da jemand?“ oder „Niemand zuhause?“
Es gibt aber noch eine zweite Bedeutung von „hallo“. Die Interjektion kann nämlich auch als Grußwort gebraucht werden anstelle von „Guten Tag“ usw. In diesem Fall liegt der Akzent auf der zweiten Silbe: „halló“. So pflegte mich etwa Norbert Altenhofer, Ordinarius der deutschen Philologie, mit einem freundlichen „halló“, zu begrüßen, wenn wir uns in den achtziger Jahren zufällig auf der Straße trafen, und wenn man auf Wanderungen auf fremden Terrain unbekannten Leuten begegnet, so grüßt man sich in unseren Breiten gewöhnlich mit einem vertrauten und Vertrauen bekundenden „halló“, um zu zeigen, daß man sozusagen nichts Böses im Schilde führt, sondern in friedlicher Absicht die Natur durchstreift.
Die Bedeutung von „halló“ als gesprächseinleitender Gruß, der anstelle der als offiziell empfundenen Formeln gebraucht wird, hat auch Weinrich verzeichnet. „In vertrauter Gesprächssituation, insbesondere unter Jugendlichen, sagt man auch ‚hallo!’ oder ‚grüß dich!’ …“. Dazu wäre zu sagen, daß diese ungezwungene Grußformel sich längst auch unter Erwachsenen ausgebreitet hat. Ich vermute, daß sie aus dem Englischen oder Amerikanischen via Film und Fernsehserie schon vor mehr als einem halben Jahrhundert in unsere Umgangssprache eingegangen ist. Man findet das Wort selbstverständlich auch im Roman oder in der Erzählung. So heißt es in den Nick-Adams-Stories von Hemingway in der Übersetzung beiläufig und wie selbstverständlich „Hallo“ als Begrüßung unter Freunden. Langenscheidts Sprachführer Englisch belehrt seine Leser: „’Hello’ ist die häufigste Begrüßung unter Bekannten“.
Diese Bedeutung hat das Wort auch in dem Song von Howard Carpendale (1983), einem Evergreen, der zudem die Leichtigkeit, Unbeschwertheit und Unverbindlichkeit dieses Grußwortes durch seine schlichte, beschwingte Melodie sehr hübsch zum Ausdruck bringt. Der Song hat diese Grußformel keineswegs im Deutschen eingebürgert, er konnte vielmehr deshalb so viele Hörer ansprechen, weil die informelle Grußformel schon längst unter ihnen verbreitet war. Sie findet sich auch im Titel der bekannten Fernsehsendung „Hallo Deutschland“ und in einem gleichlautenden Song von Heinz Rudolf Kunze. Schließlich wäre noch zu berichten, daß auch der Duden für Richtiges und gutes Deutsch (2007) die Briefanrede „Hallo, Petra“ als richtiges und gutes Deutsch eingestuft hat.
Soweit wäre alles in Ordnung mit diesem Wort als Gruß, wenn nicht Asfa-Wossen Asserate in seiner amüsanten und lehrreichen Kulturgeschichte der menschlichen Umgangsformen, Manieren (2003), gegen diesen Ausdruck als Grußformel Bedenken angemeldet und seinen Gebrauch geradezu als geschmacklos und unerlaubt für gebildete und guterzogene Menschen bezeichnet hätte. Er behauptet nämlich: „Das moderne ‚Halló’ ist keineswegs ein Zeichen des Übermutes, sondern einer etwas anzüglichen Kühle. Von Schüler- und Studentencliquen ist es längst in die ganze Breite der Gesellschaft gewandert. Der ‚Halló-Grüßer' ist die verkörperte lässige Unverbindlichkeit. Mit ‚Halló’ Begrüßte können ohne weiteres wieder unbeachtet stehengelassen werden. Man hat allmählich das Gefühl, das soziale Modell der menschlichen Beziehungen solle das Verhalten der Hunde bei Treffen im Park sein, wofern sie sich nicht ankläffen und übereinander herfallen.“
Dazu wäre zu sagen, daß der Vergleich mit den Hunden im Park keineswegs die gesellschaftliche Realität beschreibt, sondern der satirischen Phantasie des Autors entsprungen ist, auf dessen Sprachgefühl und Sprachbewußtsein man sich keineswegs immer verlassen kann. Gewiß schreibt Asserate ein vorzügliches, betont regelkonformes, gut lesbares und verständliches Deutsch. Doch merkt man gelegentlich doch auch, daß Deutsch nicht seine Muttersprache ist, etwa beim Gebrauch von Redensarten. So beginnt das zweite Kapitel: „Mit dem Gedanken, eine Betrachtung über deutsche und europäische Manieren zu schreiben, gehe ich schon eine Weile umher.“ Hier müßte es heißen: mit dem Gedanken gehe ich um.
Ein unbefangener Blick auf den Gebrauch von „halló“ als Begrüßungswort zeigt unmißverständlich, daß Asserate die Funktion und Bedeutung des Wortes völlig falsch eingeschätzt hat. Er mag ein Experte für den höflichen Umgang mit Grafen und Gräfinnen sein, doch scheint er kein Sensorium für die harmlose Realität populärer Verständigung und die Kultur gewöhnlicher Leute zu haben. Der sprichwörtliche Mann auf der Straße scheint ein unbekanntes Wesen für ihn zu sein, sonst hätte er den Hunde-Vergleich unterlassen.
Und er ist einer hochmütigen, sittenrichterlichen Versuchung erlegen, der auch Personen in beruflichen Machtpositionen wie Lehrer, Redakteure und Lektoren leicht erliegen – er hat seine sprachliche Vorliebe, die in diesem Fall einem Ausdruck von Ressentiment verdächtig ähnlich sieht, als objektive Sprachnorm ausgegeben und dabei vergessen, daß die Sprache eine soziale Institution ist und ihre Normen objektiv und intersubjektiv begründet werden müssen. Daß ‚halló’ als Grußwort eine „anzügliche Kühle“ ausdrücke, ist die unbegründete Privatmeinung Asserates, und daß ein Gruß nicht unverbindlich sein dürfe, ist eine krasse Fehleinschätzung der Funktion von Grußformeln. Es ist geradezu ein Vorzug solcher Wörter der menschlichen Kommunikation, daß sie an den Dialogpartner keine Ansprüche stellen oder Verbindlichkeiten einfordern.
Es könnte aber auch sein, daß er die „Unverbindlichkeit“ mißverstanden hat. „Verbindlich“ kann sowohl „gefällig, zuvorkommend“ als auch „verpflichtend“ bedeuten; dagegen hat „unverbindlich“ nur den Sinn von „nicht verpflichtend“, es hat nicht den Sinn von "ungefällig". Es ist nun denkbar, daß Asserate die „Unverbindlichkeit“ mit der „Ungefälligkeit“ verwechselt hat, was sein Fehlurteil aber auch nicht erträglicher machen würde.
Was nun den Duden angeht, so sind die von ihm aufgezeichneten Sprachnormen natürlich keineswegs sakrosankt. Zum Beispiel halte ich die sogenannte Neue Rechtschreibung, die der Duden vorschreibt, für einen ziemlichen Humbug, veranstaltet von einer präpotenten Schul- und Kulturbürokratie (cf. , Fetisch Reform: Die Neue Rechtschreibung.). Im Falle von „hallo“ als Anrede und Begrüßungswort beschreibt der Duden jedoch sachlich den allgemeinen Gebrauch des Wortes, an dem ich nichts Falsches und Verwerfliches entdecken kann.