Die Rückkehr der deutschen Autoren aus der Emigration ist ebenso vielgestaltig wie die Emigration. Alfred Döblin ist im Oktober 1945 bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, nach Deutschland zurückgekehrt, als Kulturbeauftragter der französischen Besatzung in Baden-Baden. Bert Brecht ist im November 1947 von Amerika nach Paris geflogen, zwei Tage, nachdem er vor das „unamericain actities committee“ vorgeladen worden war. Thomas Mann ließ sich 1952 in Zürich nieder, weil ihm das politische Klima in den USA nicht mehr behagte und er nicht in Amerika begraben werden wollte. Lion Feuchtwanger, der ohne amerikanischen Paß zwar ausreisen, aber nicht mehr zurückkehren konnte, blieb in seinem kalifornischen Haus bis zu seinem Tod.
Hilde Spiel, österreichische Publizistin, aber hatte wohl das merkwürdigste Schicksal der Emigration, es war ein mehrfacher Wechsel von Rückkehr und Emigration. Sie ist 1936 nach England emigriert, sie kam im Herbst 1946 nach Deutschland, ging Ende August 1948 wieder nach London zurück, bis sie 1963 nach Wien zog, um 1983 als Kulturkorrespondentin nach England zurückzukehren.
Wie es zu diesem kuriosen Orts- und Zustandswechsel von Rückkehr und Emigration kam, hat sie in ihrem Buch Welche Welt ist meine Welt? Erinnerungen 1946-1989 (1990) beschrieben. Leider aber hat sie ihrer Autobiographie die Form eines Gesellschaftsromans inklusive Eheroman gegeben. Sie schildert eingehend das gesellige Leben, vor allem die Geselligkeiten in Berlin, Wien, St. Wolfgang und London. Ihr Ehrgeiz bestand darin, möglichst viele Berühmtheiten kennen zu lernen, und so wurde ihr Buch ein Kompendium von Namenslisten ohne weitere Auskünfte über die Werke, denen diese Personen ihren Ruhm und ihre Bekanntheit verdanken. Sie ist Alfred Döblin und Elias Canetti begegnet, die ihr unsympathisch sind, und sagt kein Wort über ihr Werk; sie war mit Thomas Bernhard befreundet und sagt ebenfalls kein Wort über sein Werk. Das gleiche gilt von den vielen Prominenten, denen sie in Berlin begegnet ist – mit der Ausnahme, daß sie ein Theaterstück Jean-Paul Sartres eingehender bespricht.
Ihr Bericht ist nur interessant wegen des seltsamen Emigrantenschicksals und wegen einiger Skandale, die zur Sprache kommen. Von besonderer literarischer Qualität wird man bei diesen doch recht oberflächlichen Memoiren mit dem aufzählenden, Erlebnisse nicht entfaltenden, sondern resümierenden Stil wohl kaum reden können.
Hilde Spiel ist 1946 mit ihren beiden Kindern nach Berlin gekommen als Frau von Peter de Mendelsohn, der als Angehöriger der britischen Verwaltung für kulturelle Belange zuständig war. Sie bewohnten eine unzerstörte Villa mit Dienstpersonal und einem Auto. Sie betrachtet ihre Berliner Zeit „als die reichste, vielfältigste, spannendste und wirklichkeitsnächste“ ihres acht Jahrzehnte langen Lebens (S.30).
Es war die Zeit eines außerordentlich lebendigen Kulturlebens, in dem das Theater die größte Rolle spielte, und das größte Theaterereignis war die Aufführung von Sartres Fliegen: „Einen heftiger umstrittenen, in höherem Maße Aufsehen erregenden, auf nachdrücklichere Art die Geister scheidenden Theaterabend habe ich nie erlebt“ (S.79). Was sie dann aber als Theaterkritikerin schrieb, zeigte, daß sie dem Stück „nicht viel abgewinnen“ konnte und zwar deshalb, weil sie als „Schlickschülerin“ von dem französischen Existentialismus nichts hielt, sie hat ihn kaum verstanden – ganz im Unterschied zu Jean Améry, der ebenfalls bei Moritz Schlick, dem Führer des Wiener Kreises des Logischen Positivismus, studiert hatte, sich aber für Sartres Existenzphilosophie der Freiheit sofort begeisterte (cf. , Rückkehr der Emigranten im Nachkriegsroman. S.97f.).
Daß die Philosophie nicht gerade die stärkste Seite der Schlickschülerin war, gesteht sie selber ein. Sie kritisierte Karl Poppers Philosophie in einem Aufsatz mit ihren „sicherlich naiv geäußerten Bedenken“ gegen seine Drei-Welten-Theorie (S.280). Popper unterscheidet bekanntlich die physische Welt 1 der materiellen Dinge und Ereignisse, die psychische Welt 2 der mentalen Eigenschaften und Zustände und die Welt 3 der Gedankeninhalte, Theorien, Kunstwerke. Er schreibt dieser Welt der abstrakten Gegenstände deshalb Wirklichkeit oder Realität zu, weil Ideen nachweisbar stärkste Wirkungen ausüben: Gedankeninhalte bestimmen unsere Handlungen und nach physikalischen Theorien werden Maschinen gebaut usw. (cf. Karl Popper, Ausgangspunkte 1994, 263ff.)
Daß Hilde Spiel diese Zusammenhänge nicht verstehen konnte, offenbart die Grenzen ihres geistigen Vermögens. Doch hätte sie wissen können, daß gerade Karl Popper nachgewiesen hat, daß der Logische Positivismus fehlerhaft und wissenschaftstheoretisch unhaltbar ist (l.c. 120ff.). Ein Manko des Logischen Positivismus bestand übrigens darin, daß er Begriff und wissenschaftliche Unverzichtbarkeit abstrakter Gegenstände wie Zahlen, Klassen, Typen, nicht erklären konnte - was wiederum vermuten läßt, daß die Schlickschülerin die Theorie Schlicks nicht recht begriffen hat.
Sie zog 1948 wieder nach England, weil sie ihre beiden Kinder nicht auf deutsche Schulen schicken wollte. Sie selbst arbeitete als Kulturkorrespondentin hauptsächlich für den Monat, eine von Melvin Lasky herausgegebene, von amerikanischen Diensten finanzierte Kulturzeitschrift, und für die Neue Zeitung, das Blatt der amerikanischen Besatzung. Von diesen beiden Publikationen hing ihr „Lebensunterhalt“ ab. Friedrich Torberg aber, ein fanatischer Antikommunist, Herausgeber des Forums, einer ebenfalls von amerikanischen Diensten unterhaltene Kulturzeitschrift, wandte sich 1952 in einem achtseitigen Brief an die Herausgeber jener Blätter, um Spiel als „fellow-traveller“ des Kommunismus zu denunzieren und ihre Mitarbeit an amerikanischen Publikationen zu verhindern (S.195).
Diese Intervention ist ganz gewiß kein Ruhmesblatt Torbergs, vielmehr eine der übelsten Aktionen des Mannes, der im selben Geist auch verhindern konnte, daß Brecht nach dem Krieg in Wien aufgeführt wurde.
1963 kehrte Spiel dann selbst nach Wien zurück. So sehr sie aber an der Stadt hing, sie gab sich über die kulturelle Mediokrität Wiens keinen Illusionen hin. Sie schreibt zwar über die Strudlhofstiege, von Heimito von Doderer, ungeachtet der antisemitischen Züge des Romans: „Ich war wehrlos über diese Verdichtung wienerischen Lebensgefühls, dieser so präzisen wie skurrilen Sprache“ (S.224). Zugleich aber erwähnt sie den Kulturbetrieb der Stadt, eine charakteristische Mischung von dichter Geselligkeit und „Klatsch, Malice, Intrige, Ranküne“ (S.194). Bemerkenswert sind allenfalls Theater- und Opernaufführungen: „Neue Bewegungen in Politik und Gesellschaft gehen von Wien nicht aus“ (S.228).
Die größte Affäre, von der sie aus Wien zu berichten hat, ist ein wahrer Schildbürgerstreich der Stadtverwaltung und des zuständigen Ministeriums. Die Vertreter dieser Instanzen wollten es tatsächlich zulassen, daß das von Ludwig Wittgenstein für seine Schwester geplante und erbaute Haus von Bauspekulanten abgerissen werde. Es gab eine Rettungsinitiative von Architekten und Schriftstellern; doch wurde das Haus nicht vom österreichischen Staat oder der Stadt Wien gerettet, sondern von der bulgarischen Botschaft, die es kaufte, um darin ihr Kulturinstitut zu errichten (S.253).
1983 ging Hilde Spiel dann noch mal für zwei Jahre nach London, um für die FAZ über Kulturereignisse des Landes zu berichten. Sie machte wiederum die Erfahrung, daß die Distanz des Einwanderers zu der herrschenden Oberschicht unüberwindlich ist. Sie spricht abwechselnd von Ernüchterungen und Glücksmomenten nach ihrer Rückkehr in ihre „zweite Heimat“, sie beklagt den Hochmut und die „wohlberechnete Grobheit, wie man sie zuweilen von der geistigen Elite dieses Landes erfährt“, und lobt den „wohlmeinenden“ Grundcharakter der Engländer (S.281).
Als Publizistin widmete Hilde Spiel ihre Arbeit hauptsächlich einer Kultursparte, die inzwischen ihre gesellschaftliche und literarische Bedeutung nahezu vollständig eingebüßt hat, dem Theater. Was sie in diesem Buch darüber schreibt, klingt nicht immer kompetent und überzeugend. So bestreitet sie etwa, daß Helene Weigel die Rolle der Mutter Courage glaubwürdig spielen könnte, weil sie eine höhere Wiener Bürgerstochter sei – ein seltsames Argument, als bestehe die Aufgabe eines Schauspielers nicht gerade darin, Exemplare verschiedener gesellschaftlicher Klassen darzustellen. Im übrigen stand Spiel mit dieser Meinung allein, Helene Weigel galt immer als die beste Mutter Courage.
Über den Text dieses Buches, das bisweilen den Charakter einer Klatschspalte annimmt, so, wenn die Autorin über den PEN und ihre Vereinsmeierei berichtet, will ich nichts weiter sagen – sie hat alle Tagungen und Kongresse dieses Autorenverbandes eifrig besucht.
Zu berichtigen wäre aber, daß sie das lateinische Sprichwort: „res venit ad triarios“, falsch versteht und anwendet. Das von dem Historiker Livius geprägte Wort besagt, daß die dritte Linie der Legionen die erprobten Kämpfer sind, die dann in Aktion treten, wenn die ersten beiden Linien überwunden sind. Die Sache sei an die Triarier gekommen, besagt also, daß die Sache nun an die harten Kämpfer, die der Gefahr gewachsen sind, gekommen ist. Hilde Spiel aber schreibt: „Die großen Verluste haben wir überwunden, nun kommen die kleineren dran, res venit ad triarios“ – was das genaue Gegenteil des Sinnes dieses Sprichwortes ist (S.182).
Unangenehm fällt manchmal eine gewisse emotionale Nachlässigkeit auf, so, wenn sie in einem Absatz von der Krebserkrankung einer Freundin spricht, um im nächsten Absatz einzugestehen, daß dadurch der "Sonnentag" ihrer "Lebensfreude" nur kurz umwölkt worden sei (S.151) – eine feuilletonistische Schilderung, wie sie für den Stil und das Niveau dieser Lebensbeschreibung bezeichnend ist. Mit einem falsch verstandenen lateinischen Zitat eine Bildung vorzugeben, die man nicht hat, ist ebenfalls ein Zug des Feuilletonismus.
Die Korrespondentin der FAZ wurde in diesem Blatt zeit ihres Lebens immer mit besonderer Rücksicht und Höflichkeit behandelt und freundlich beurteilt, eine menschliche Geste, kein Urteil über den literarischen Wert ihrer Publikationen.