Man zeige mir einen Menschen, Mann oder Frau, der Kriminalromane nicht ausstehen kann, und ich zeige euch einen Narren, einen klugen Narren vielleicht, aber nichtsdestoweniger einen Narren.
Auf dem Höhepunkt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, 1964, schrieb Rex Stout einen Kriminalroman über den aktuellen Konflikt zwischen Schwarzen und Weißen in Amerika: A right to die (1964; Glasgow 1980). Rex Stout gilt als der Politiker unter den namhaften Krimischreibern der USA, weil fast alle seine Romane Hinweise auf aktuelle politische Ereignisse oder Tendenzen enthalten. Es ist ein besonderer Reiz der Lektüre seiner Geschichten, den politischen Nebensinn der Affären zu entschlüsseln und zu bewerten. In A right to die (Ein Recht zu sterben) geht es nebenbei zwar auch um eine Anspielung auf die New Yorker Politiker Rockefeller und Goldwater (S.28), in der Hauptsache aber um die schärfste innenpolitische Kontroverse jener Jahre.
Der hier zu besprechende Fall bestätigt übrigens eine Erfahrung, die auch Georges Simenon machen konnte, daß man nämlich in einem unterhaltsamen Detektivroman gelegentlich eine ernste Sache überzeugender und sachgerechter behandeln kann als in einem Werk der hohen Literatur.
Muß ich noch Nero Wolfe vorstellen? Er ist ein schwergewichtiger, exzentrischer Detektiv in New York, der niemals in geschäftlichen Dingen sein Haus verläßt. Es beherbergt drei Pflanzenräume mit Orchideen, die ein Gärtner pflegt. Wolfe ist ein Gourmet, der einen eigenen Koch beschäftigt. Um seinen Lebensstandard finanzieren zu können, verlangt er hohe Honorare. Er gehört zum Stamm jener Detektive, die die rätselhaften Fälle mit Hilfe ihrer kleinen grauen Zellen lösen. Sein Assistent, Archie Goodwin, der auch der Erzähler der Geschichten ist, ist der Mann fürs Grobe und die Laufarbeit. Wolfe spricht ein literarisch gebildetes Englisch, während Goodwin den hemdsärmligen Jargon eines Huckleberry Finn bevorzugt (cf. , Die Tätigkeit des Nero Wolfe).
A right to die ist nicht der erste Krimi, in dem Rex Stout auf die Bürgerrechte zu sprechen kommt. In To many cooks (1938; Zu viele Köche) hielt vielmehr Nero Wolfe eine formvollendete Rede über die Rechte der amerikanischen Bürger, jene Vergünstigungen, die den Schwarzen zu Unrecht vorenthalten wurden. Er war damals auf eine Auskunft angewiesen, die ihm nur einer der schwarzen Diener in ihrem Hotel geben konnte, und die Rede sollte dieses Personal überzeugen, daß sie trotz ihrer bedauerlichen staatsbürgerlichen Benachteiligung die Pflicht haben, an der Aufklärung eines Mordfalles mitzuhelfen.
Auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung kommt nun also ein schwarzer Professor der Ethnologie, Paul Whipple, damals Hoteldiener und Student, zu Wolfe und zitiert einen längeren Abschnitt aus jener früheren Rede Wolfes, um ihn nun seinerseits um Hilfe zu bitten. Er möchte, daß Wolfe untersucht, wie man verhindern könnte, daß sein Sohn Dunbar ein weißes Mädchen heiratet. Damit ist das Hauptthema des Romans genannt. Rex Stout aber hatte den großartigen Einfall, daß im Laufe der Ereignisse eine Weiße auftaucht, die diese Mischehe zwischen einem Schwarzen und einer weißen Frau ebenfalls verhindern möchte. Zwei Personen haben das gleiche Ziel, aber diametral entgegengesetzte Motive und Einstellungen für ihre Handlungen. Davon abgesehen ist die Frage der Mischehe ein kontrovers behandeltes Thema jener Bewegung.
Ein weiteres Problem hängt mit dem Programm der Bewegung ebenfalls engstens zusammen, der Umstand, daß mit den Bürgerrechten, die die Schwarzen für sich beanspruchen, auch staatsbürgerliche Pflichten verbunden sind. Im konkreten Fall bedeutet dies, ob sie auch bereit wären, an der Untersuchung mitzuhelfen, wenn der verdächtige Mörder ein Mann aus ihrer Organisation wäre.
Das dritte Thema des Romans betrifft den Sprachgebrauch der Betroffenen, die Selbstbezeichnungen der schwarzen Amerikaner und die Ausdrücke, die sie als diskriminierend betrachten. Das ist übrigens der Grund, warum ich diesen Roman überhaupt vorstelle, die Frage, wie die Beteiligten und Betroffenen in diesem Punkt dachten, der heute zu den absoluten Tabus der von der politischen Korrektheit gesteuerten Öffentlichkeit gehört.
Schließlich wäre noch ein weiteres Thema des Romans zu nennen, die Anspielung auf Othello, der Mohr von Venedig, die klassische Tragödie über die Ehe zwischen einem schwarzhäutigen Mann und einer weißen Frau, mit tragischem Ausgang, wie man weiß.
Nachdem Paul Whipple sein Anliegen vorgebracht hat, eröffnet Wolfe das Gespräch mit einem Schock. Er behauptet, Whipple handle aus „pride of race“ (Rassenstolz), der mit jedem „anthropos“ (Mensch) gegeben sei (S.10). Der schwarze Anthropologe ist über die Charakteristik empört, muß schließlich aber zugeben, daß sie berechtigt ist und ohne weiteres auf die Einstellung seiner Frau zutrifft, die glaubt, sich niemals mit einer weißen Schwiegertochter wirklich verstehen zu können.
Mit seiner Bemerkung hat Wolfe einen Aspekt der Bürgerrechtsbewegung genannt, der in der Diskussion über die Konflikte zwischen den Volksgruppen selten beachtet wurde. Ein ausgeprägtes Merkmal des Selbstbewußtseins der Schwarzen, das in der politischen Auseinandersetzung zwischen Schwarz und Weiß gewöhnlich ignoriert wurde, obwohl dieses Motiv die Hitze und gelegentliche Gewaltsamkeit des Konflikts erklären kann. So hat Rex Stout gezeigt, daß auch ein Roman einen wesentlichen Beitrag zur intellektuellen und politischen Diskussion seiner Zeit leisten kann. Daß die politisch korrekten Zensoren des Sprachgebrauchs heute nicht die geringste Ahnung von dem „Rassenstolz“, dem starken, unerschütterlichen Selbstbewußtsein der schwarzen Amerikaner, haben, braucht nicht erklärt zu werden.
♦ Was das umstrittene Thema des Romans angeht, so hält der Bruder es für möglich, daß seine Schwester einen „farbigen Mann“ heiraten wollte, nämlich Dunbar Whipple; seine Frau aber hält diese Annahme für verrückt (S.72). Sie dürfte die Meinung vieler weißen Amerikaner, wenn nicht der meisten, wiedergeben. Die Organisation der Bürgerrechtler ist der Ansicht: „Die Frau seiner Wahl zu heiraten oder den Mann seiner Wahl ist ein Gott-gegebenes Recht“ (S.95), und ihr Anwalt bekräftigt diese Ansicht mit dem Verweis auf die natürliche Entwicklung: „Jede kultivierte Abstammung der Menschheit ist das Ergebnis von Kreuzung. Offensichtlich billigt die Natur es, so auch ich. Ich habe nicht vor, die Natur anzuklagen.“ (S.97) Der Pressesprecher der Organisation hält die Idee jedoch für unklug, weil er den ungünstigen Eindruck auf die Öffentlichkeit fürchtet: „Die Heirat von Schwarz und Weiß gleicht einem roten Tuch für einen Stier“ (S.96).
♦ Nicht umstritten, aber nicht weniger heikel ist die Frage, wie die schwarzen Bürgerrechtler sich in dem Falle verhalten würden, daß einer der Ihren ein Mörder sei. Darauf gibt ihr Vorsitzender die entschiedene Antwort: „Wenn irgendeiner aus unserem Stab ein Mörder ist, wünsche ich, daß er in vollem Umfang bestraft wird. … Wenn wir erwarten, wie gute Bürger behandelt zu werden, müssen wir gute Bürger sein.“ (S.164)
♦ Am meisten hat mich jedoch, wie gesagt, an diesem Roman der amerikanische Sprachgebrauch im damaligen Konflikt zwischen Schwarzen und Weißen interessiert. Paul Whipple stellt sich vor „as an American Negro“ (S.12) und er spricht von seiner Rasse, „my race“. D.h. „Neger“ und „Rasse“ sind keineswegs verpönte, als diskriminierend oder beleidigend empfundene Bezeichnungen für die schwarzen Amerikaner, die auch diese Ausdrücke für sich selbst benutzen. Rex Stout benutzt diese Wörter ohne jedes Bedenken; wenn er gelegentlich von „Schwarz“ und „Weiß“, von „Farbigen“ oder „Bleichgesichtern“ spricht, dann aus Gründen der stilistischen Variation.
Nero Wolfe aber zeigt seine Achtung vor den Schwarzen dadurch, daß er die farbigen Bürgerrechtler als gleichberechtigt behandelt, d.h. er geht mit ihnen genauso grob und schonungslos um wie mit allen seinen Mitmenschen (s.163). Goodwin fügt dem Sprachen- und Bürgerstreit die Nuance hinzu: „Das ist ein anderes Bürgerrecht, Dinge übelnehmen“ (S.121); gemeint ist die persönliche Freiheit des Einzelnen, Dinge abzulehnen, die ihm nicht passen, besonders Wörter und Namen, die Personen bezeichnen.
Wolfe, der mehrere Sprachen spricht, erklärt Goodwin, daß „negro“ auf Spanisch „schwarz“ bedeutet und „nero“ auf Italienisch „schwarz“. Und Wolfe ist in „Montenegro“ geboren, „Schwarzer Berg“ (S.57). Als beleidigend wird aber „nigger“ empfunden und nicht nur empfunden, sondern auch als beleidigend gemeint.
Dunbar aber behauptet, daß nicht nur im Süden der Vereinigten Staaten, sondern auch im Norden jedermann Vorurteile gegen die Schwarzen habe: „Die meisten von ihnen würden dieses Wort, Nigger, nicht sagen, aber sie haben dieses Wort in sich. Jedermann. Es ist in ihnen irgendwo begraben, aber es ist nicht tot. Manche von ihnen wissen nicht, daß sie es haben und sie würden es nicht glauben, aber es ist da.“ (S.45) Eine vorzügliche Erklärung eines verbreiteten unbewußten Ressentiments; daneben verzeichnet der Roman natürlich auch die weißen Rassenfanatiker, die sich ihres Hasses nur zu bewußt sind und nur von „Niggern“ sprechen.
♦ Schließlich noch ein Wort zur literarischen Anspielung im Roman, die für Rex Stout ebenso typisch ist wie die aktuellen politischen Hinweise. Er gilt als der Autor, der das reinste und korrekteste Englisch seiner Generation schrieb, und Wolfe ist gleichen Sinnes wie sein Schöpfer, ein strenger Hüter der reinen Sprache. Vor allem aber ist er ein großer Leser. Er schätzt die Lektüre noch höher als gutes Essen und die Zucht von Orchideen. In dieser Geschichte erfahren wir nebenbei, daß er gerade ein Buch über Shakespeare liest, und bei Tisch unterhält er sich mit seinen schwarzen Gästen über Othello, aber nicht über den Rassenkonflikt der Tragödie, sondern über den juristischen Aspekt der Intrige (S.66).
Soweit die expliziten Verweise auf die Tragödie, von größerer Bedeutung sind jedoch die verschwiegenen gedanklichen Beziehungen zwischen dem Drama und dem Kriminalroman. Gemeint ist das Leitmotiv der Natur, das in Othello vorherrscht, wie Jan Kott beobachtet hat. In keinem Stück Shakespeares fällt das Wort „Natur“ so oft wie in Othello, der Mohr von Venedig. Die vorausgesetzte Kernfrage ist offensichtlich, ob die intime Verbindung zwischen dem Mohr und der weißen Desdemona der Natur entspricht. Im einzelnen stellt sich dann vielfach heraus, daß die soziale Ordnung mit ihren Werten der Natur entspreche und die Erotik „entartete Natur“ sei (J. Kott, Shakespeare heute. 1989, 126f.).
Dieses Leitmotiv findet nun in unserem Roman ein sprechendes Echo. Erwähnt wurde das Argument des Bürgerrechtlers, daß die Mischehe zwischen Rassen der natürlichen Entwicklung der Menschheit entspreche. Jener Gedanke wird jedoch von Wolfe einigermaßen emphatisch aufgenommen. Er antwortet auf die Ansicht, daß die Leidenschaft, die eine weiße Frau an einen schwarzen Mann bindet, absurd sei, mit den Worten, die eine ganze Weltanschauung enthalten: „Nichts in der Natur ist absurd, wenngleich vieles beklagenswert ist“ (S.9).
Das ist das ideelle Motto des Romans, das alles weitere Geschehen in den Augen Wolfes plausibel erklärt. Auch sonst gibt Wolfe seine Achtung vor der Natur zu erkennen, um die Machenschaften der Menschen, besonders die Automatisierung des Lebens, umso schärfer zu verurteilen (S.36).
Der Roman schließt mit einer hintersinnigen Arabeske, gleichsam einem Kommentar zum Thema des Romans. Auf die Mitteilung Paul Whipples, daß seine Frau wünsche, Nero Wolfe wäre ein Neger, antwortet dieser, daß Goodwin ebenfalls einer sein müßte (S.192). Er meint also, daß er und sein Mitarbeiter in jedem Fall die gleiche Hautfarbe haben müßten. Dazu Goodwin: „Ich habe mich nicht bemüht, dies aufzuklären. Wie ich sagte, ich habe es schon lange aufgegeben, mir vorzustellen zu versuchen, wie sein Geist arbeitet“ (S.192).
Es gibt wenige Detektivromane, die einen gesellschaftlich-politischen Konflikt im Rahmen einer spannenden Kriminalhandlung derart geistreich, sachgerecht und überzeugend darstellen und besprechen konnten wie „Ein Recht zu sterben“. Nicht zu vergessen, daß Rex Stout einen originären Gedanken zur amerikanischen Diskussion über den bürgerrechtlichen Streit zwischen Schwarz und Weiß beigetragen hat, was ganz gewiß mehr ist, als man von einem gewöhnlichen Unterhaltungsroman verlangen könnte.