Für den kläglichen Zustand der katholischen Kirche ist nicht nur der unbewältigte Skandal der Mißbrauchsfälle bezeichnend, sondern auch das Phänomen, daß ein Autor wie Tomáš Halík zu einem vielgefragten Mode-Theologen dieser Zeit werken konnte. Man könnte ihn als ein Randphänomen der christlichen Szene betrachten und als solches behandeln, wenn er nicht dieses außerordentlich starke Echo gefunden hätte. Er schreibt über den weltweiten Erfolg seiner Bücher: „In insgesamt 18 Sprachen, einschließlich des Chinesischen, Koreanischen und Türkischen, erscheinen bis heute Übersetzungen. Dazu wurden mir eine Reihe internationaler Würdigungen zuteil“.
Nachdem ich ein Buch von Halik gelesen habe, kann ich mich aber nur über die intellektuelle Anspruchslosigkeit der Leser wundern, die sich mit einer derart kümmerlichen geistigen Kost zufrieden geben. Der heikle Punkt ist nämlich der, daß klares Denken nicht die Stärke dieses Autors ist. Er hat sich vorgenommen, die schwierigen Lehren der Fachtheologie in essayistischer Form einem breiten Publikum nahezubringen. An sich ist es ein löbliches Unterfangen, gelehrte theologische Gedanken in verständliche Sprache zu übersetzen.
Bei Halík ist das Ergebnis aber nicht ein verständlicher, nachvollziehbarer Text, sondern eine Serie von vagen Bekenntnissen, frommen Wünschen und eigenwilligen Stellungnahmen, kurzum, ein Kompendium frommer Aussprüche, zur heute beliebten Sparte der Spiritualität gehörig, jenem Reservat unverbindlichen, gefühlsbetonten Glaubens. Halík beruft sich vielfach auf Lehren der Mystiker, hat aber nicht erkannt, daß sich mystische Ideen nicht popularisieren lassen, weil das Ergebnis auf dem Niveau des schlichten Lesers nur in banalen Aussagen bestehen kann.
Ein weiteres Manko besteht in dem Buch, auf das ich mich hier beziehe: Glaube und sein Bruder Zweifel (2017). Es geht auf den unglücklichen Einfall des Autors zurück, eine Sammlung von Zitaten aus zwölf seiner Bücher herzustellen. Das Buch erinnert an eine berühmte Literaturgattung der Scholastik, die Sentenzen-Sammlung. In unserer Zeit hat noch Josef Pieper von Thomas von Aquin einen Band seiner Sentenzen zusammengestellt, eine Auswahl seiner wichtigsten Thesen und Gedanken, ein überaus lehrreicher Überblick über das Denken des Thomas, eine Sammlung seiner bewundernswert klaren und konzisen Gedanken und Zeugnis seiner systematisierenden Energie, die selbst oder gerade auch in den Zitaten spürbar ist.
Ähnliches aber läßt sich von Halíks Schrift nicht sagen, die Schwächen seines Denkens sind unübersehbar, auch deshalb, weil der Text meist aus einzelnen Meinungsäußerungen besteht und selten aus Argumenten und folgerichtigen Gedanken.
Um die Unklarheit oder Unreflektiertheit seiner Ausführungen zu belegen, würde an sich das folgende Beispiel genügen; doch werde ich noch weitere Muster seiner Denkungsart anführen, um den Themenkreis anzudeuten, mit dem er sich beschäftigt.
Halík schreibt: „Mit dem Apostel Thomas läßt sich mit vollem Recht ausrufen: 'Mein Herr und mein Gott!' Vielleicht tut man jedoch gut daran, sich bewußt zu machen, daß die Aussage des Thomas als Ausruf einer freudigen Faszination zu werten ist, nicht aber als metaphysische Definition.“ (S.33) Dieser Aufruf ist zwar keine Definition, aber doch eine metaphysische Aussage, nämlich, daß der Auferstandene Gott ist. Halik deutet den Ausruf als reine Expression, als Worte des Erstaunens ohne thematischen Sinn – was natürlich Unsinn ist, da diese Deutung dem Wortlaut widerspricht und nicht erklären kann, worauf sich die Faszination bezieht.
Die Worte sind vielmehr ein Ausruf des Glaubens. Anschließend heißt es nämlich: „Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt“, und weiter: „Dies wurde geschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist“ (Johannes 20,29ff.). Dazu bemerkt Otto Karrer richtig, daß das Bekenntnis des Thomas der Höhepunkt des Evangeliums des Johannes sei und den Kreis zum Prolog schließe. Halíks Bibelauslegung ist eine krasse Fehldeutung der Stelle. Seine Lesart würde dann passen, wenn Thomas nur "Donnerwetter" gesagt hätte.
Der expressiven Auffassung des Glaubens entspricht dann auch der Satz: „Ich konzentriere mich mehr auf die Art des Glaubens als auf den Inhalt des Glaubens“ (S.198), obwohl er genau weiß, daß man einen Glauben ohne Inhalt und ohne Gegenstand nicht als christlichen Glauben bezeichnen könne (S.12). Dann liest man zum Problem des Gegenstandsbegriffs, daß er die Vorstellungen von Gott als Gegenstand ablehnt (S.102). Es heißt weiter: „Gott ist weder ‚Objekt‘, ein Ding unter Dingen“; er sei abwesend in der Objekt-Subjekt-Welt, was er seine Transzendenz nennt (S.109). Dem widerspricht dann wider die einigermaßen kryptische Sentenz: „Gott ist eher ein Objekt als ein Bezugspunkt, von dem aus wir die Welt und uns wahrnehmen“ (S.110).
Zu diesen Verwirrungen wäre zu sagen, daß Halík nicht gesehen hat, daß „Gegenstand“ nicht nur "materielles Ding" bedeutet, sondern oft ein Synonym für „Thema“ ist, als Gegenstand einer Schrift, und es läßt sich ja nichts dagegen sagen, daß das Thema aller theologischen Texte eben Gott ist. Diese Begriffsverwirrung war in der Nachkriegszeit in der Theologie weit verbreitet. Dann hat er nicht gesehen, daß die Vorstellung einer Objekt-Subjekt-Welt von einer falschen Struktur des Erkennens und Wissens ausgeht. Erkennen und Wissen haben aber keine Subjekt-Objekt-Struktur, sondern eine propositionale Form: „ich erkenne, daß …“, „ich weiß, daß …“. Außerdem ist das Wort von der Transzendenz Gottes eine metaphysische Aussage, was wiederum mit Haliks Aversion gegen die Metaphysik nicht zu vereinbaren ist.
Er erklärt, Glaube und Unglaube seien für ihn nicht „Aufstellungen von Überzeugungen hinsichtlich metaphysischer Fragen, sondern elementare Grundeinstellungen zum Leben“ (S.11). Gemeint sind offenbar Fragen nach dem Sinn der menschlichen Existenz. Aber was sind derartige Grundeinstellungen denn anderes als metaphysische Fragen? Ganz ähnlich behauptet er, der Gott der christlichen Tradition sei kein „übernatürliches Wesen“, sondern „die Tiefe und die Basis aller Wirklichkeit“ (S.57), was natürlich ebenfalls eine metaphysische Aussage ist. Das aber ist für Halíks Denkstil typisch, daß er für eine überlieferte präzise Aussage eine verschwommene Paraphrase setzt. So auch dort, wo er „die antike Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele“ ersetzt durch „die Hoffnung, daß der Tod nicht das letzte Wort haben“ werde (S.203) – was im Klartext aber nichts anderes besagt als die Unsterblichkeit der Seele.
Man hat Mühe, derartige verbale oder begriffliche Abgrenzungen nachzuvollziehen. So auch an der Stelle, wo er im Hinblick auf Gott die Metapher „Person“ auffaßt als eine Aussage darüber, daß er ansprechbar sei und er „im tiefsten Wesen in Beziehung ist“ (S.87). Diese Eigenschaften werden aber nur verständlich, wenn man weiß, was wir heute unter Person verstehen, und man zugleich weiß, daß dieser Begriff hier nicht wörtlich übernommen wurde – zugegeben, terminologisch eine höchst komplizierte Sache, die Halík aber kaum andeutungsweise aufhellen kann.
Klares Denken ist nun mal nicht die Sache dieses Theologen. Er teilt uns mit, daß er überzeugt sei, daß „das Gegenteil des Glaubens nicht der Atheismus“ sei, sondern der Götzendienst (S.101f.). In logischer Hinsicht verhält es sich aber so, daß der Atheismus das kontradiktorische Gegenteil des christlichen Glaubens, eines Theismus, ist, während der Götzendienst, der Polytheismus, das konträre Gegenteil des Christentums, des Monotheismus, ist.
Ganz unverständlich, nicht nur für Laien, sondern auch für philosophisch informierte Leser, weil er selbst die Behauptung nicht verstanden hat, ist der Satz, bei der Bibellektüre entstehe ein hermeneutischer Zirkel „zwischen unserer eigenen Geschichte und der biblischen Geschichte“ (S.22). Eine Aussage ohne erkennbaren Sinn, womit man aber in einer rationalen Diskussion nichts anfangen kann. Zur genaueren Erklärung der umstrittenen Theorie des hermeneutischen Zirkels beim Verstehen von Texten sei auf zwei klassische Texte verwiesen: Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode (1965, 250ff.) und Wolfgang Stegmüller, Rationale Rekonstruktion von Wissenschaft und ihrem Wandel (1979, 26ff.).
Auf Unverständnis geht offenbar auch Halíks Einwand gegen eine atheistische Ethik zurück, die annimmt, daß alles erlaubt sei, wenn es Gott nicht gibt. Halik meint, in dieser Lehre einen Denkfehler entdeckt zu haben, wenn er fragt: „Aber es stellt sich die Frage, von wem es erlaubt sein sollte, wenn der Verbietende und der Erlaubende schon tot ist.“ (S.113) Es ist aber evident, daß er die Pointe der atheistischen Ethik nicht begriffen hat. Sie besagt nämlich nichts anderes als den schlichten Sachverhalt: Wenn es keinen göttlichen Gesetzgeber gibt, gibt es auch keine moralischen Verbote. Das heißt, alles ist erlaubt. Halík begeht den Fehler, daß er annimmt, ein verneinender Satz setze die Existenz dessen voraus, was verneint wird.
Er widmet ein ganzes Kapitel der von Nietzsche geprägten hochdramatischen These vom Tode Gottes, ohne allerdings Nietzsches Intention und Verständnis dieses Schlagwortes adäquat erfassen und wiedergeben zu können. Ich will mich nicht mit der Wiedergabe seiner vagen Überlegungen aufhalten, sondern kurz andeuten, was Nietzsche mit dem bildlich auftrumpfenden, natürlich nicht wörtlich zu nehmenden Schlagwort gemeint hat. In der Fröhlichen Wissenschaft (Nr. 343) erklärt er im Klartext, daß er mit seiner These meint, „daß der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig geworden ist“. Seine These besagt nicht nur, daß der ursprüngliche christliche Glaube wirkungslos geworden sei, sondern auch, daß überhaupt jede Vorstellung einer übersinnlichen oder übernatürlichen Welt abzulehnen sei, d.h. der ganze Bereich der Metaphysik. Und diesen Zustand der Wirkungslosigkeit, die er als Wertverlust und Umwertung der höchsten geistigen und sittlichen Werte deutet, nennt er Nihilismus (cf. , Wenn das Denken feiert, S.21f.).
Dagegen hat Martin Heidegger Nietzsche vorgeworfen, daß er einen falschen Begriff von Gott habe, indem er ihn als höchsten Wert aufgefaßt habe, Wert aber als ein Begriff der Ökonomie hier völlig untauglich sei. So habe er allenfalls nur die Vorstellung eines moralischen Gottes widerlegt: „Der Gott als Wert gedacht, und sei er der höchste, ist kein Gott. Also ist Gott nicht tot.“ (Heidegger, Denkerfahrungen 1983, 86).
Von all dem ist bei Halík nicht die Rede. Das damit gegebene Hauptproblem, die Frage des Nihilismus, wird flüchtig nebenbei einmal erwähnt, ohne daß seine Bedeutung erkannt würde (S.47). Dazu aber hat Karl-Heinz Haag mit Recht vorgebracht, daß die geistige Überwindung des Nihilismus nicht durch ein Glaubensbekenntnis oder den Hinweis auf die christliche Offenbarung zu erreichen sei, sondern „nur auf dem Weg einer Erkenntnis seiner Genesis“, d.h. mit philosophischen Argumenten (Haag, Metaphysik als Forderung rationaler Weltauffassung 2005, 78). Von rationalen Argumenten kann aber bei den meisten Theologen nicht die Rede sein, erst recht nicht bei Halík, einem bekennenden Verächter der Metaphysik.
Zu Nietzsche aber behauptet Halík, er sei in „die Finsternis des Wahnsinns“ gefallen, weil er die Grenze der Kompetenz der Vernunft mit seiner Philosophie überschritten habe – eine Formulierung, die im Kontext insinuiert, daß sein Atheismus schuld an seiner Geisteskrankheit sei (S.25). Mit dieser frommen Spekulation aber hat der Autor den Tiefpunkt seiner religiösen Reflexionen erreicht. Nietzsches Geisteskrankheit wurde nach heutigem Wissen entweder durch eine Infektionskrankheit oder einen geerbten Gendefekt verursacht.
Halík macht genau den Fehler, vor dem Thomas von Aquin die Theologen mehrfach gewarnt hatte, indem er sagte, sie sollten das Christentum nicht mit billigen Argumenten verteidigen und es damit zum Gespött der Ungläubigen machen (Summa theologiae Teil I, Frage 46, Artikel 2).
In dem Buch wird mehrfach die Religionskritik Freuds erwähnt. Der Autor aber hat offenbar nicht gewußt, daß längst nachgewiesen ist, daß dessen Psychoanalyse alles andere als eine solide Wissenschaft ist, was selbstverständlich auch seine Religionskritik erheblich entwertet.
Halík erwähnt einmal die Kritik des Religionshistorikers Mircea Eliade an Freuds Vorstellung eines Vatermordes in der Urhorde (S.116). Halík erwähnt aber nicht den entscheidenden Vorwurf Eliades gegen Freud, daß nämlich der Mythos vom Vatermord in den primitiven Religionen und deren Mythen nirgends vorkommt, Freud also diesen Mythos selbst erfunden habe – eine wahrhaft vernichtende wissenschaftliche Kritik (M. Eliade, Im Mittelpunkt 1977, 220).
Es wären noch andere Fehler und Ungereimtheiten in diesem Buch der modischen Spiritualität anzuführen, ich werde mich aber auf zwei weitere Anmerkungen beschränken. Der Autor übernimmt vielfach fruchtbare Gedanken von anderen Theologen, ohne ihren Namen zu nennen. So stammt die ständig gebrauchte Formel von dem „Geheimnis, das Gott genannt wird“ von Karl Rahner und wer wirklich wissen will, was damit gemeint ist, und wie man überhaupt vernünftig von etwas reden kann, was nicht ein lösbares Rätsel, sondern ein echtes Geheimnis ist, muß schon Rahners Grundkurs des Glaubens (1976) zu Rate ziehen. Das gleiche gilt von der Lehre der Selbstmitteilung Gottes als Synonym für Offenbarung (S.18). Die Deutung des Glaubens als Ur-Vertrauen stammt von Hans Küng (S.47). Den Gedanken, daß der Begriff der Beziehung für das Verständnis Gottes wesentlich sei, hat Joseph Ratzinger in seiner Einführung in das Christentum (1968) zuerst und weitaus kompetenter ausgeführt als Halík.
Die zweite Anmerkung betrifft dessen Historismus. Er spricht von "verstaubten Lehrsätzen" des Glaubens (S.106) in dem Sinne, daß sie veraltet seien. Es kommt aber in einem rationalen Diskurs nicht darauf an, ob bestimmte Aussagen veraltet oder modern sind, sondern allein darauf, ob sie wahr oder falsch, begründet oder unbegründet sind.
Ähnlichen Sinnes, sich dem Zeitgeist anbiedernd, spricht er unreflektiert von postmoderner Zivilisation, postmodernen Philosophen, ohne mitbekommen zu haben, daß die „Postmoderne“ eine längst überholte Mode der Philosophie war. Ganz unverständlich ist, daß er an dem Ausdruck „postsäkulare Zeit“ festhält, wo doch offensichtlich ist, daß unsere Zeit durch und durch säkularisiert und profan, unsere Gesellschaft in der Mehrheit religiös indifferent ist.
Soviel zur Seriosität von Halíks Arbeitsweise und genug über seine ausschweifenden Bekenntnissen in Sachen des Glaubens, die auf mir unerklärliche Weise eine derart große Leserschaft gefunden haben, ein merkwürdiges Phänomen, das ich aber nicht für das Symptom einer postsäkularen Zeit halten kann.