Der erste Eindruck bei der Lektüre ist: Hier reden Vereinschristen über Probleme des Vereinschristentums in einem nur ihnen verständlichen Insiderjargon. Man liest ein Interview mit dem ZdK-Präsidenten, Kurznachrichten über die Vorsitzende des Deutschen Katecheten-Vereins, den Diakonie-Präsidenten, die Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft, den Verein der Freunde der Hedwigs-Kathedrale usw. Was ZdK bedeutet, wird als bekannt vorausgesetzt und erklärt wird auch nicht, was der Synodale Weg sein soll, der hier besprochen wird. Aus diesem Charakter der Zeitschrift kann man folgern, daß es ein Blatt für Insider ist, das sonst niemand etwas angeht.
Wenn man dieses Heft liest, wundert man sich auch nicht mehr, daß der deutsche Verbandskatholizismus, dessen Nützlichkeit schon Heinrich Böll bezweifelt hat, praktisch keinen gesellschaftlichen oder politischen Einfluß in unserem Lande hat, geschweige denn einen intellektuellen Einfluß. Auch fragt man sich, ob die Forderung einer Kurzrezension, daß „die Diskriminierung lesbisch-schwuler Lebensformen durch die Kirche“ beendet werden solle, die Privatmeinung des Rezensenten oder die Meinung der Zeitschrift bzw. des sie tragenden Vereins ist. Wenn es die Meinung der Zeitschrift ist, kann man dazu nur sagen, daß ein Christentum, das dem Zeitgeist hinterherläuft, in jeder Hinsicht überflüssig ist.
♦ Der zweite Eindruck ist, daß die Zeitschrift einen gewissen antirömischen Affekt geradezu liebevoll kultiviert. Auf dem Titelblatt wird ein Artikel über die „Gewalt gegen Domspatzen“ von Regensburg angekündigt, der nur deshalb veröffentlicht wurde, weil deren ehemaliger, kürzlich verstorbener Leiter Ratzinger hieß. In dem Artikel heißt es, Papst Benedikt verfolge sehr genau, was in seiner Wahlheimat Regensburg vor sich gehe. Damit wird ohne weitere Worte, aber deutlich genug unterstellt, daß der Skandal der Mißbrauchsfälle in diesem Knabenchor mit Rücksicht auf den Papst nicht gründlich genug aufgearbeitet worden sei – eine völlig aus der Luft gegriffene, absurde Unterstellung, da Benedikt XVI. die Mißbrauchsfälle in der Kirche schärfer verurteilt hat als jeder andere Papst.
Dann wird behauptet, wiederum ohne jeden näheren Beleg, daß sich nach dem Tod Georg Ratzingers jetzt viele Regensburger erneut in eine Milieustudie zum angegebenen Thema vertieften, die vor einem Jahr erschienen ist. Diese Behauptung von der neuen Aktualität der Studie ist offensichtlich völlig unbegründet, sie dient bloß als Aufhänger für den Artikel, der mit seinem insinuierten Hinweis auf den mit der Affäre irgendwie verbundenen Papst reiner Sensationsjournalismus ist, insgesamt ein miserabler Artikel und zwar auch aus folgenden weiteren Gründen:
— der Artikel unterscheidet nicht konsequent zwischen der Gewalt in der Erziehung und den sexuellen Mißbrauchsfällen
— er erwähnt nicht, wann in bayerischen Schulen die Prügelstrafe abgeschafft wurde oder wie die Kindererziehung in dem bäuerlich-derb geprägten Land denn im allgemeinen aussah
— er erklärt nicht, warum die Eltern der verprügelten oder mißbrauchten Knaben die Schule und ihre Leiter nicht angezeigt und gerichtlich belangt haben
— der Artikel fragt nicht, ob es nicht auch eine seelische Grausamkeit oder Ungerechtigkeit an der Schule gegeben hat und warum diese Art der Grausamkeit, deren psychische Folgen nicht weniger schlimm sind als die Folgen der körperlichen Gewalt, nicht in der Milieustudie untersucht wurde.
Seriösen Journalismus kann man den Beitrag kaum nennen und die Redaktion scheint nicht begriffen zu haben, daß man allein mit Ressentiments keine vernünftige Politik, auch keine vernünftige Kirchenpolitik machen kann.
♦ Drittens muß man feststellen, daß die Zeitschrift der Ideologie der politischen Korrektheit geradezu sklavisch folgt, die inzwischen einen Punkt der Dummheit und Verblödung erreicht hat, die eine schlimmere Plage ist als die Corona-Epidemie. Die Zeitschrift scheint der Ansicht sein, man könne den Rassismus bekämpfen oder abschaffen, indem man das Wort „Rasse“, das eine unbestreitbare Lebensform im Tierreich und davon abgeleitet eine Subspezies der Spezies Homo sapiens sapiens, bezeichnet, aus dem Grundgesetz streicht.
Ein Artikel behauptet: „Der Kolonialismus prägt bis heute unser Denken“. Der Satz gibt ein reines Klischee, eine unüberlegte Phrase wieder, wie denn der ganze Artikel von Phrasenhaftigkeit trieft, weil er die ungeheure Komplexität des europäischen Kolonialismus nicht mal ansatzweise in den Blick bekommt und von historischer Bildung völlig unbeleckt ist. Überdies scheint eine recht naive multikulturelle Gesinnung die Meinungen und Vorurteile der Autorin geprägt zu haben. Sie hat wohl noch nie gehört, daß die europäische Kultur samt Aufklärung, demokratischer Bildung und technischer Zivilisation auf dem Boden der griechisch-römischen Kolonisation entstanden ist. Wenn irgendein politisches oder kulturelles Phänomen zwei Gesichter hat, dann der europäische Kolonialismus.
Wieso soll – nach Meinung der Autorin - ein indisches Restaurant im britischen Kolonialstil unser Denken beeinflussen oder der Name der Mohren-Apotheke? Daß noch heute Inder den britischen Kolonialstil pflegen, zeigt doch wohl, daß Indien von den Briten nicht nur ausgebeutet wurde, sondern auch von ihnen profitiert hat. Daß sich Inder und Pakistaner nach der Unabhängigkeit millionfach umbrachten, geht auf ihr eigenes Konto, nicht auf das Konto der ehemaligen Kolonialmacht. Auch vergessen die gerade modischen Denkmalstürmer und Kritiker des Kolonialismus, daß in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts mitten in Afrika ein Völkermord mit achthunderttausend Opfern stattfand, der mit Kolonialismus nicht das geringste zu tun hat.
Die Autorin scheint nicht zu wissen, daß die älteren Einwohner von Kamerun, die sich noch an die deutsche Herrschaft erinnerten, nach dem Zweiten Welt-Krieg die deutsche Kolonisierung nicht pauschal verurteilten, sondern die Einrichtung der Schulen, die Lesebücher durchaus begrüßten und würdigten.
Auch scheint die Autorin die recht verzwickte Verbotsgeschichte des Wortes „Neger“ nicht zu kennen. Verpönt war zunächst und mit Recht im Amerikanischen das Wort „nigger“, weil es meist absichtlich als Schimpfwort gebraucht wurde. Man wußte auch nicht, daß das Wort sich von dem lateinischen „niger“ und dem spanischen „nigro“ herleitet, das einfach „schwarz“ bedeutet und völlig neutral gebraucht wird. Während der Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings sprach man von den "Schwarzen", nach dem Motto: "Black is beautiful". Dann wurde auch dieses Wort verdächtig und man sprach nur noch von den "Afroamerikanern". Damit sind aber nur die schwarzen Afroamerikaner gemeint, nicht die aus Nordafrika stammenden Afroamerikaner. Man sieht, daß man bei dieser Definition auf das Merkmal der Hautfarbe nicht verzichten kann — was die politisch Korrekten aber nicht wahrhaben wollen. Ihre Doktrin kommt selten ohne Heuchelei aus.
Servil wie die Deutschen kulturell und sprachlich gegenüber den Amerikanern immer sind, haben sie dann auch das neutrale Wort „Neger“ zu einem Unwort erklärt. Die französisch gebildeten Afrikaner haben dagegen gerade die Idee der eigenständigen afrikanischen Kultur mit dem schönen Wort „Négritude“ bezeichnet, wie denn auch die meisten ehemals kolonisierten Völker bis heute die Sprache ihrer europäischen Beherrscher übernommen haben, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch! Ist etwa der Inder Salman Rushdie zu tadeln, weil er seine Romane auf englisch schreibt und nicht in Hindi oder Urdu?
Geradezu lächerlich ist in dieser Nummer des „Publik-Forums" aber der kritische Kommentar zu der „Geschichte von den schwarzen Buben“ von Heinrich Hoffmann. In der Geschichte wird bekanntlich die Intoleranz dreier weißer Buben gegen einen schwarzen Buben dadurch bestraft, daß der Niklas sie noch schwärzer macht als den Mohren, der nichts für seine Hautfarbe kann.
Jedes Kind versteht die Moral dieser Geschichte, nicht jedoch die Autorin des Blattes, sie schreibt nämlich, in einem Tiefsinn vortäuschenden schlechten Deutsch: „Ist das eine gute Idee, damit die Jungen so nachempfinden können, wie das Leben als schwarze und damit oft als von Diskriminierung betroffene Person ist? Oder ist es ein fatales Zeichen, wenn Schwarz-Sein als Strafe eingesetzt wird?“ Ich glaube nicht, daß die Autorin selbst verstanden hat, was sie da sagt.
Übrigens gibt es eine moderne Geschichte, die die pädagogische Weisheit, die Hoffmann in seinem Struwwelpeter anschaulichst und einprägsam vorführt, glänzend bestätigt. Hannah Arendt berichtet, daß während des Krieges in den oberen Schulklassen von New York die Aufgabe gestellt wurde, wie Hitler bestraft werden sollte. „Darauf schrieb ein Negermädchen: Man solle ihm eine schwarze Haut anziehen und ihn zwingen, in den Vereinigten Staaten zu leben. Das Mädchen bekam den ersten Preis und ein Stipendium für 4 Jahre College!“
Nach dem pädagogischen Unverstand von „Publik-Forum“ hätte das Mädchen diesen Preis gewiß nicht bekommen. Damit aber hat die Zeitschrift den schlagenden Beweis dafür geliefert, daß eine falsch verstandene politische Korrektheit leicht ein böses Ende nehmen kann. Sagt doch schon Friedrich Schiller: „Mit Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“.
Um das Bild ihrer geistigen Physiognomie abzurunden, hat die Zeitschrift dann auch noch schlichtest-erbauliche Corona-Gedichte abgedruckt, unsägliche Äußerungen unsäglicher Zeitgenossen. O sancta simplicitas!
Es sei nicht verschwiegen, daß das Heft auch diskutable Artikel enthält, so den Titelaufsatz des Heftes über den "fragilen Menschen", wenngleich der Beitrag auch ein paar Denkfehler enthält. Es ist ein Referat über die Philosophie von Günther Anders angesichts der Möglichkeit der Menschheit, sich selbst zu zerstören. Die Annahme, daß die Moral hinter den technischen Möglichkeiten zurückbleibe und wir eine neue Ethik bräuchten, ist eine vollmundige, unbegründete Aussage, zumal sie die Ethik von Hans Jonas nicht berücksichtigt (cf. , Über das Ethos von Intellektuellen, S.152ff.). Der Satz: "Wir werden schluldlos schuldig" ist einfach Unsinn, Feuilletonismus im pejorativen Sinne. Informativ sind der Aufsatz über die Antibabypille und der Bericht über Brasilien in Zeiten von Corona. — Freilich, über Güte und Niveau einer Zeitschrift entscheiden am Ende nicht die lesbaren, sondern die schlechten, mißratenen Beiträge.