Für einen Spitzenpolitiker ist das Adjektiv ‚unpolitisch‘ die Definition von Dummheit.
Am letzten Freitag konnte man ein Fiasko der Diplomatie und Außenpolitik im Weltmaßstab erleben, als der ukrainische Präsident vor laufenden Fernsehkameras sich mit dem amerikanischen Präsidenten lautstark zerstritt – ein Verhalten, das nicht nur in jeder Hinsicht unklug und undiplomatisch war, sondern den unabweisbaren Eindruck erweckte, daß Selenskyj, Präsident eines kleinen Landes, das sich aus eigener Kraft nicht erhalten kann, unleugbar an Größenwahnsinn leide. Er wußte nichts zu erwidern, als ihm der amerikanische Vizepräsident vorhielt, er könne wenigstens ein wenig Dankbarkeit zeigen. Immerhin hat Amerika die Ukraine bisher mit 120 Milliarden Dollar unterstützt.
Auf den Vorwurf Trumps, er riskiere mit seinem Verhalten den Dritten Weltkrieg, gab er Rußland die Schuld an diesem Risiko – nicht erwähnend, daß damit ja noch nicht die eigene Unschuld bewiesen ist. Es könnten ja beide Partner schuld sein. Diese Gefahr könnte zum Ernstfall führen, wenn die militärische Unterstützung der Ukraine durch den Westen eine bestimmte Grenze überschreiten würde.
Wenn der Auftritt des ukrainischen Staatsmanns schon ein grotesker politischer Fehler war, so waren die europäischen Stimmen, die die Partei des Ukrainers gegen die USA ergriffen, nicht weniger unklug und gedankenlos. Sich gegen die USA positionierend, gaben sie ein Prinzip auf, das die deutsche und westeuropäische Außenpolitik seit Adenauer bestimmt hat: das Bündnis mit den USA. Es gibt nämlich im Atomzeitalter eine elementare Tatsache in den Machtverhältnissen, die kein europäischer Politiker ignorieren kann: Europa kann sich im atomaren Ernstfall nicht selbst verteidigen (H. Kissinger).
Adenauer hat diese Lage wohl als erster erkannt und darauf seine Westpolitik gegründet und bei allen Differenzen mit Kennedy daran festgehalten. Willy Brandt konnte seine Ostpolitik nur durchsetzen, weil er im Einvernehmen und in Abstimmung mit Nixon und Kissinger handelte. Helmut Schmidt hatte mit Jimmy Carter einige Differenzen, doch ließ er es nicht zum Bruch mit dem großen Bündnispartner kommen. Helmut Kohls Zuverlässigkeit in Fragen der Westbindung war über allen Zweifel erhaben und deshalb konnte er, unterstützt von Bush senior, die Wiedervereinigung souverän managen.
Die Bundesrepublik ist, wie die Europäische Union, nach der treffenden Formel Henry Kissingers, ein politischer Partner Amerikas und zugleich sein wirtschaftlicher Konkurrent – zwei Beziehungen mit gelegentlichen Störungen und Reibungen. Die Kunst der deutschen Außenpolitik besteht darin, die möglichen Konflikte zwischen den Interessen beider Länder so zu lösen, daß beide Partner zufrieden sein können.
Derzeit geht es um das Problem, daß Trump in erster Linie die wirtschaftlichen Interessen seines Landes verfolgt, weil er glaubt, daß es hierin benachteiligt wird. Und was Europa angeht, weist er daraufhin, daß Amerika die Hauptlast im politisch-militärischen Bündnis tragen muß. Dafür fordert er einen Ausgleich.
Was die augenblickliche politische Konstellation zwischen Europa und Amerika angeht, so hat Jean-Claude Juncker, ein erfahrener Europapolitiker aus der Schule Kohls, die Beobachtung mitgeteilt, daß man den gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten ernst nehmen müsse, wenn man von ihm etwas erhalten wolle. Es ist offensichtlich, daß viele Politiker, und noch mehr Journalisten und Leitartikler, hierzulande in diesem Punkt den größten Fehler machen: sie nehmen den Amerikaner nicht ernst, d.h. sie begreifen seine politischen Vorhaben nicht und versagen deshalb in der eigenen Politik.
Daß Europa sich nicht selbst verteidigen kann, ist eine Tatsache, die durch die realen Verhältnisse bis heute nicht widerlegt wurde. Deshalb klingen alle politischen Statements, Europa könne und müsse die militärische Lücke, die durch die amerikanische Abstinenz vom Bündnis entsteht, selbst ausfüllen, hohl und unglaubwürdig. Die französische Force de dissuasion und die englischen U-Boot gestützten Atomraketen können im Ernstfall die strategischen Waffen Amerikas nicht ersetzen.
Nicht viel glaubwürdiger klingen die vollmundigen Statements des französischen Präsidenten und des englischen Premierministers, Soldaten in die Ukraine zu schicken. Macron hat nicht einmal eine stabile Regierung; wie will er dann eine derart riskante Maßnahme innenpolitisch durchsetzen? Welcher Franzose will denn heute für Kiew sterben?
Der englische Premier hat immerhin erkannt, daß Europa die Beziehung zu dem amerikanischen Präsidenten nicht aufgeben dürfe. Was englische Soldaten aber in der Ukraine ausrichten könnten, bleibt schleierhaft – sie werden wohl kaum in den Kampf ziehen. Die Royal Air Force wird wohl kaum russische Stellungen bombardieren und die Royal Navy kaum russische Häfen blockieren. London wird allenfalls ein paar Instrukteure und Nachrichtenexperten schicken, die hinter der Front tätig werden.
Nach solchen Bekundungen kann man nicht sagen, daß die europäischen Politiker klare, genau definierte Ziele in der Ukraine verfolgten. Genau betrachtet, scheinen sie ratlos zu sein, wie das zwiespältige Verhalten Deutschlands zeigt. Die Bundesregierung liefert Waffen an die Ukraine und begünstigt zugleich die berufliche Integration ukrainischer Flüchtlinge, die Tatsache ignorierend, daß ihrem Land Soldaten fehlen.
Die Vorstellung, daß deutsche Soldaten wieder gegen Rußland marschieren, wie einige historisch unkundige Stimmen es wollen, ist ein Alptraum.
Was die Ukraine selbst angeht, so sind seit der russischen Aggression bis heute alle großspurig angekündigten politischen und militärischen Pläne gescheitert. Erfolgreich war Selenskyj nur darin, daß er Waffen und finanzielle Hilfe von den westlichen Regierungen einsammeln konnte – allein von der Bundesrepublik 40 Milliarden Euro. Daß er bei seinem Zusammenstoß mit Trump die amerikanische Unterstützung verscherzt hat, war ein kolossaler Fehler, wie er inzwischen selbst eingesehen hat. Sein Ruf als fähiger Staatsmann ist aber wohl nachhaltig beschädigt, wie es im Politjargon wohl heißt.
Besonders ärgerlich ist die Desinformation über die russischen Verluste. Wenn diese Zahlen stimmen würden, wäre die russische Armee längst ausgeblutet. Offenbar sollen die Phantomzahlen nicht-vorhandene ukrainische Erfolge an der Front vortäuschen oder Mißerfolge vertuschen.
Wie könnte aber eine mögliche Lösung des Konflikts aussehen? Denkbar wäre ein Waffenstillstand, dazu der ukrainische Verzicht, die Krim mit Waffengewalt zurückzuerobern, eine Volksabstimmung in den besetzten Gebieten über die Frage, ob die Bewohner zur Ukraine oder zu Rußland gehören wollen. Die ukrainische Option ist nämlich manchen Orts gar nicht sicher, schließlich gab es in den neunziger Jahren auf der Krim eine Unabhängigkeitsbewegung.
Ein kluger Mann hat einmal gesagt, man solle keine Prognosen stellen, besonders nicht über die Zukunft. Trotzdem eine Prognose: Wenn in vier Jahren der Krieg in der Ukraine noch andauert und die Bundesregierung weiterhin Kiew freigebig Milliarden und Milliarden Euro spendiert, wäre es nicht ausgeschlossen, daß die AfD stärkste Partei im Bundestag wird. Diese Partei aber ist nur stark, weil die anderen Parteien versagt haben, eine Binsenwahrheit, die jedoch über den geistigen Horizont der Menschen geht, die mit Demonstrationen und Händchenhalten wirklich existierende Probleme lösen zu können glauben.