Kurt Flasch, Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation. München: C.H.Beck 2013.
In einer Kirche fühlte ich mich zu meinem Erstaunen weit mehr zu Hause als etwa im Parthenon oder in irgendeinem anderen Gebäude aus heidnischen Tagen. Dabei wurde mir klar, daß christliches Lebensgefühl weit mehr Einfluß auf mich besaß, als ich geglaubt hatte. Es war dies eine Macht über meine Gefühle, nicht jedoch über meine Anschauungen.
Kirchenkritik ist gerade wieder mal groß in Mode. Die Volksseele, repräsentiert durch ein Boulevardblatt und andere Blätter, gab sich wochenlang empört über die angebliche oder mutmaßliche Verschwendung bei einem bischöflichen Bauobjekt in Limburg. Von der täglichen Verschwendung natürlicher Ressourcen, die diese Zeitungen allein durch ihr Erscheinen verursachen, redet natürlich niemand, am wenigsten die Schreiber dieser Blätter. Hinzukommen die Skandale im Vatikan, die unaufgeklärt weiter schwelen, Berichte über kuriale Machtspiele und pikante Vorkommnisse in höchsten Kreisen, das richtige Futter für eine auf Indiskretionen versessene Öffentlichkeit, und es finden sich immer die richtigen Figuren, um die Klatschsucht des Publikums zu befriedigen.
In diesem Klima einer mehr oder weniger berechtigten, mehr oder weniger zweideutigen Kirchenkritik kommt das Buch von Kurt Flasch, mit Literaturpreisen hochdekorierter, zuletzt in Bochum lehrender Professor emeritus der mittelalterlichen Philosophie, gerade recht. Er erklärt zwar, keine Kritik der Kirche, sondern nur eine Kritik ihrer Glaubenslehren vortragen zu wollen. Die Erfahrung lehrt aber, daß fast jede philosophische Religionskritik immer dann ein stärkeres Echo hervorruft, wenn diese hochtheoretische Kritik auf kirchliche Mißstände trifft, die zum Himmel schreien. Wenn die Verkünder der christlichen Lehre durch ihr unchristliches Verhalten in Verruf geraten, verliert auch ihre Lehre an Glaubwürdigkeit. Die Leute beginnen nachzudenken, was es mit ihrem Christsein eigentlich auf sich hat. So läßt sich, meiner Ansicht nach, der Erfolg der Streitschrift von Flasch, die in wenigen Monaten vier Auflagen erlebt hat, wohl am plausibelsten erklären. Wenn dem wirklich so ist, wenn viele Leser tatsächlich anfangen, sich mit der Lehre des Christentums intellektuell auseinanderzusetzen, wäre dies unbestreitbar ein großer geistiger Gewinn, gleichgültig, ob man die Einstellung Flaschs teilt oder nicht.
Schaut man sich die publizistische Szene des katholischen Christentums hierzulande an, wie sie von den einschlägigen Verlagen bedient wird, so stößt man überwiegend auf erbauliches Schrifttum, das sich meist im Grenzgebiet von Psychokitsch und spiritueller Verblasenheit bewegt, und abseits des katholischen Lagers, wo die "Prominentenplage" um Küng und Käßmann grassiert, scheint es nicht besser auszusehen. Es ist überaus bezeichnend, daß für die katholische Geistigkeit heute eine Figur wie Anselm Grün repräsentativ ist, von dem Flasch spöttisch sagt, er grase wie Eugen Drewermann "auf den Wiesen der Seelenkunde". Demgegenüber bietet Flasch in seinem Buch eine Fülle wichtiger historischer, philosophischer und theologischer Auskünfte über das Christentum, die die millionenfach verbreiteten, gesammelten Harmlosigkeiten Grüns mehrfach aufwiegen. Überhaupt hat man den Eindruck, daß die philosophischen Kritiker des Christentums vom Schlage eines Hans Albert, Herbert Schnädelbach oder Kurt Flasch diese Religion ernster nehmen als die Wortführer der derzeit herrschenden spirituellen Mode, der nebelhaftesten Schwundstufe des Christentums, die es in der Geschichte seines Geistes je gegeben hat.
Den Titel seines Buches hat Flasch wörtlich von einem Vortrag (1927) Bertrand Russells übernommen, und es ist unübersehbar, daß er seinem Vorbild, und dem Vorbild Voltaires, auch darin nacheifert, daß er die Rolle des witzig-heiteren Greises spielt, der den Verlust des Glaubens im höchsten Alter, ohne dem Glauben nostalgisch nachzutrauern, gleichmütig erträgt. Er rühmt sich sogar, ohne Selbstironie, seiner ungebrochenen "rheinischen Fröhlichkeit". Wie Russell bemüht er sich, mit einfachen Worten zu sagen, was er über die philosophischen Anleihen des Christentums sagen will, ohne den philosophischen Fachjargon zu verwenden. Freilich ist evident, daß seine leicht plaudernde Diktion weniger an Russells logische Stringenz und dezidierte Klarheit erinnert als an das geistreiche Feuilleton eines Ludwig Marcuse, von dem er den Plural der "Christentümer" entlehnt hat. Nicht umsonst nennt Flasch seinen bekenntnishaft argumentativen Stil öfter „Unterhaltung“ und nicht Diskussion, Disputation oder Auseinandersetzung. Auch liegt auf der Hand, daß seine gelegentlich flapsige Redeweise nicht die feine Ironie Russells nachahmt, sondern völlig im Einklang ist mit dem blasierten Jargon vieler heutiger Berufsphilosophen, denen die Gegenstände ihres Denkens, wenn man davon überhaupt reden kann, herzlich gleichgültig sind. Fraglos dürfte die lockere Besprechung lebenswichtiger Themen ein Grund für den erstaunlichen Erfolg dieses Buches sein.
Das Schlußkapitel der polemischen Schrift handelt davon, "wie es sich anfühlt, kein Christ zu sein" – "sich anfühlen" ist ein gängiges Modewort aus dem amerikanisierten Soziolekt heutiger Philosophieprofessoren, die zu viele Talkshows gesehen oder an zu vielen Schwatzrunden teilgenommen haben. An einer Stelle spricht Flasch recht salopp von dem teleologischen Argument der Gottesbeweise, "das die antiken Stoiker breitgetreten" hätten. Wie anders, mit wieviel Respekt spricht dagegen Russell von der stoischen Idee des Naturrechts, wenn er rühmend hervorhebt:
Das Christentum übernahm neben vielen anderen auch diesen Teil der stoischen Doktrin. Und als sich im siebzehnten Jahrhundert schließlich die Gelegenheit ergab, den Despotismus wirksam zu bekämpfen, gewannen die stoischen Lehren des Naturrechts und der natürlichen Gleichheit in christlicher Gewandung praktisch eine Wirkungskraft, die ihnen in der Antike nicht einmal ein Kaiser hatte verleihen können.
Insgesamt wird man gewiß nicht behaupten können, daß Flasch den geistigen Beitrag des Christentums zu einer humanen, ethisch hochstehenden Kultur angemessen oder fair gewürdigt hätte – anders etwa als Max Horkheimer, einer seiner philosophischen Lehrer, der mehrfach eingeräumt hat, daß die Würde des einzelnen Menschen ohne das Ideal des Christentums wohl niemals anerkannt worden wäre.
Eine letzte Anmerkung zur Sprache des Autors. Er betont mehrfach, daß er den größten Wert auf philologische Genauigkeit lege – um so mehr ist man überrascht, wenn man feststellen muß, daß er gelegentlich aus der bischöflichen Einheitsübersetzung der Bibel zitiert, einer der ungenauesten und läppischsten Verdeutschungen der Schrift, die je vorgenommen wurden. Es hat sich längst bis nach Rom, nämlich bis zu Joseph Ratzinger, herumgesprochen, daß die deutsche Einheitsübersetzung als Grundlage für eine seriöse Bibellektüre ungeeignet ist. Bis nach Mainz hat es sich leider noch nicht herumgesprochen. Mit anderen Worten, mit Flaschs philologischer Genauigkeit kann es nicht weit hersein.
Bevor ich einige fragwürdige sachliche Punkte dieser Schrift diskutiere, sei klargestellt, was von der religionskritischen Einstellung des Autors grundsätzlich zu halten ist. Es läßt sich am besten mit den Worten Theodor Haeckers sagen:
Nach meiner Meinung spricht es für einen Menschen, der den Glauben nicht hat – es ehrt ihn, meine ich, seinen Verstand und sein Herz, daß er von einem ewigen Leben einfach nichts wissen will. Wer dennoch davon redet, ist, so meine ich, nichts als ein gedankenloser, hohler Schwätzer.
Zu den Einwänden, die man vorbringen könnte, wäre zunächst allgemein zu sagen, daß in dem Buch ein zentraler Sachverhalt nicht klar genug artikuliert wird. Es ist zwischen vernünftigen Menschen, Glaubenden und Nichtglaubenden, längst unstrittig, daß eine Religion nicht mit dem Hinweis sich rechtfertigen läßt, daß sie ein vitales Bedürfnis des Menschen befriedige oder eine wichtige soziale oder ethische Funktion erfülle. Mit anderen Worten, die funktionalistische Rechtfertigung des Christentums ist keine überzeugende Begründung für die Annahme des Glaubens. Diesen Punkt hat Flasch nicht hinreichend herausgearbeitet, sonst hätte er den unschönen Soziologenausdruck von der "Kontingenzbewältigung" der Religion nicht kritiklos übernehmen können, obwohl er das damit bezeichnete Argument natürlich verwirft.
Im einzelnen wäre zu Flaschs philosophiehistorischen Nachweisen viel zu sagen. Ein wichtiger Einwand in diesem Zusammenhang ist wohl, daß er, als Kenner Augustins, den Einfluß Augustins, so groß er auch gewesen sein mag, doch wohl ein wenig überschätzt. So wurde zum Beispiel sein enger Vorsehungsglaube, daß nur wenige auserwählte Menschen selig würden, niemals Allgemeingut der katholischen Christenheit, sondern ohne Abstriche wohl nur vom Calvinismus übernommen. Andererseits demonstriert Flasch durch ein seitenlanges Zitat von Augustinus sehr schön, daß Heidegger überraschend stark nach Augustin „klingt“.
Kann man aber wirklich von einer „einfachen Sicherheit“ des Glaubens bei Augustin und Thomas von Aquin sprechen? Zeigen nicht die Confessiones, daß deren Autor seine Glaubensgewißheit in harten inneren Kämpfen und nach starken Zweifeln errungen hat? Und wie steht es bei Thomas? Wer wie er, nicht nur in seinem Hauptwerk, der Summa theologiae, sondern in fast allen seinen Schriften, mit der größten Umsicht jeweils die Gegenmeinungen und Einwände zu einer Glaubensfrage diskutiert, bevor er seinen eigenen Standpunkt begründet, zeigt doch offensichtlich, daß er von vielen Einwänden selbst nicht unbeeindruckt geblieben ist. Außerdem scheint Flasch die berühmte Stelle des Thomas nicht zu kennen, wo dieser den Widerstand des Glaubenden gegen intellektuelle Bedenken in den höchsten Tönen preist – was bei dem nüchternsten und unpersönlichsten Denker des Mittelalters doch einiges besagen will, aber gewiß nicht, daß er über eine einfache Sicherheit des Glaubens verfügt habe. Die Stelle belegt außerdem, daß es nicht erst in der Neuzeit oder in der Moderne, in angeblich nachmetaphysischen Zeiten, für den Wissenden schwer war, in einem christlichen Sinn zu glauben. Wenn der Gebildete zu allen Zeiten, selbst im christlichen Mittelalter, Probleme mit dem Glauben hatte, dann muß man die echt historistische Hauptthese Flaschs relativieren, die besagt, daß erst die Aufklärung die rationale Begründung des Glaubens demontiert habe.
"Thomas von Aquin unterschied nicht zwischen ‚Grund’ und ‚Ursache’", heißt es hier anläßlich eines Gottesbeweises. Stimmt das wirklich? Schreibt er nicht in dem Artikel über die fünf Wege, die Existenz Gottes nachzuweisen, ausdrücklich: Secunda via est ex ratione causae efficientis (Der zweite Weg erfolgt auf Grund der Wirkursache)? (Summa theologiae I,1,3). Offensichtlicher kann man doch zwischen Grund und Ursache nicht unterscheiden, und man begegnet dieser begrifflichen Unterscheidung bei Thomas auf Schritt und Tritt.
Außerdem, Flasch macht viel Aufhebens von der mittelalterlich beschränkten kosmologischen Weltsicht des Aquinaten. Er erwähnt aber nicht, daß Thomas die astronomischen Theorien seiner Zeit — durchaus im Einklang mit der modernen Wissenschaftsphilosophie — als Vermutungswissen und Hypothesen betrachtet, die widerlegt werden könnten: "Wenn auf solche Weise auch die Erscheinungen erklärt werden könnten, so folge daraus noch nicht die Wahrheit dieser Theorien; denn möglicherweise können die gleichen Erscheinungen auf eine ganz andere, den Menschen noch unbekannte Weise, secundum alium modum nondum ab hominibus comprehensum, gleichfalls erklärt werden" (Zitat bei J. Piper, Thomas von Aquin 1986,84). Man wird also kaum sagen können, Flasch habe das philosophische Niveau des Thomas richtig eingeschätzt.
Flasch stützt sich bei seinen Argumenten gegen das Christentum hauptsächlich auf die historisch-kritische Bibellektüre, um einige Ungereimtheiten und Haltlosigkeiten des üblichen Bibelverständnisses aufzudecken. Vieles was er aufdeckt, kritisiert er mit Recht. Doch habe ich den Verdacht, daß er sich nicht immer einer gewissen Voreingenommenheit auf seiner Seite bewußt ist. So legt er das größte Gewicht auf die philologische Erkenntnis, daß Paulus niemals das Prädikat "Gott" auf Jesus anwendet, erwähnt aber nicht die anderen Hoheitstitel, die Paulus anwendet. Da es seiner Meinung über das Neue Testament widerspricht, beachtet er nicht die Verse, die erklären, daß die Moral im wesentlichen in der inneren Einstellung besteht. Auch übergeht er stillschweigend das Wort des Evangeliums, das unmißverständlich von der Unauflöslichkeit der Ehe spricht. Mir scheint, daß er nicht klar genug macht, daß es, vom Standpunkt des Glaubenden aus betrachtet, neben der historisch-kritischen Bibellektüre auch eine theologische Bibelinterpretation geben kann.
Alles in allem muß man sagen, daß Flasch Philosophiehistoriker ist, kein systematischer Denker oder ein Kopf, der durch genaue Begriffsexplikationen exzellierte. Was er über den Begriff des Sinns des Lebens ausführt, ist schlicht unbefriedigend und nicht ohne Grund ist das Kapitel über die Wahrheit der Religion am schwächsten ausgefallen. Es läuft darauf hinaus, daß er den historischen Schriften des Christentums am Ende nur eine poetische Wahrheit zuerkennen möchte. Seine Begründung erinnert vage an die grammatische Theorie von Harald Weinrich, der zwischen den Redeformen des Besprechens und des Erzählens strikt unterscheidet und erklärt, daß beim Erzählen in der Regel die Frage nach der Wahrheit des Erzählten während des Erzählvorgangs nicht gestellt wird. Flasch möchte sich an dem Formenreichtum der christlichen Kunst erfreuen, betrachtet also die Zeugnisse des christlichen Glaubens und der christlichen Kultur aus einer rein ästhetischen Perspektive, denn was ist eine poetische Wahrheit anderes als ein Begriff der ästhetischen Einstellung.
Die argumentative Schwäche des Autors kommt dort zum Vorschein, wo er die Aussage des ersten Vatikanischen Konzils kritisiert, daß die natürliche Gotteserkenntnis evident sei, und erklärt, die Gewißheit eines evidenten Argumentes lasse dem vernünftigen Entscheiden keine Wahl. Wenn also etwas evident sei, hätte ich keine Wahl, es abzulehnen.
Dazu wäre zu sagen: Was evident ist, weiß ich oder erkenne ich, ich brauche es nicht zu glauben, ich brauche es weder im alltäglichen Sinn noch im christlichen Sinn zu glauben. So behauptet Thomas etwa, daß ein Philosoph mit dem natürlichen Licht der Vernunft erkennen könne, daß Gott existiert — er weiß es also, er braucht es nicht zu glauben, während viele Menschen, denen die philosophischen Voraussetzungen für diese Erkenntnis fehlen, dieselbe Tatsache allenfalls glauben können, wobei "glauben" in einem christlichen Sinn zu verstehen ist. Denn, wie es treffend heißt:
Nichts spricht dagegen, daß das, was an sich beweisbar ist und gewußt werden kann, von einem anderen, der den Beweis nicht erfassen kann, als glaubwürdig betrachtet wird. (S th I,1,2,ad 1)
Es ist klar, daß derjenige, dem die intellektuelle Gabe fehlt, jenen Beweis einzusehen, sich entscheiden muß, das, was bewiesen wurde, zu glauben oder nicht zu glauben. Aber auch die vernünfigte Einsicht in jenen Beweis enthält ein Moment der Entscheidung, da diese Beweise nicht in demselben Grade zwingend sind wie logische oder mathematische Ableitungen (cf. Wenn das Denken feiert, S.117).
Flasch macht auch nicht recht deutlich, daß die sogenannten Gottesbeweise sich grundlegend von logischen oder mathematischen Ableitungen und Schlußfolgerungen unterscheiden. Wären jene Beweise so zwingend schlüssig wie logische Ableitungen, hätten wir in einer lebenswichtigen Frage überhaupt nicht die Möglichkeit, uns anders zu entscheiden, auf welchen Umstand wiederum Theodor Haecker vor Jahrzehnten aufmerksam gemacht hat. Und Karl Popper hat darauf hingewiesen, daß unsere Argumentationen niemals lückenlos seien und daß wir immer abwägen, d.h. entscheiden müssen, welche Gründe im Hinblick auf eine bestimmte Sache wir als relevant betrachten.
Dann behauptet Flasch, die philosophischen Gottesbeweisen hätten in "der augenblicklichen intellektuellen Lage keine Bedeutung mehr". Woraus man folgern muß, daß er Geistern wie Robert Spaemann oder den nicht wenigen Theologen und Laien, die nach wie vor aus der Zweckmäßigkeit des Universums auf einen intelligenten Schöpfer schließen, keine Bedeutung beimißt. Wer sich Berichte von Konvertiten anschaut, wird feststellen, daß sie sehr wohl Wert auf rationale Argumente legen, die für den Monotheismus und das Christentum sprechen. Und hat nicht Alfred Schmidt, Fachmann für den Historischen Materialismus und ebenfalls Schüler Horkheimers, in einem seiner letzten Interviews eingeräumt, daß das erwähnte teleologische Argument einigermaßen plausibel sei?
Hier wäre noch ein Wort über Kant angebracht, der nicht nur nach Ansicht Flaschs der Begründer und Kronzeuge der religionskritischen Einstellung der Moderne ist. Kant hatte in seiner Kritik der sogenannten Gottesbeweise dargelegt, daß es unzulässig ist, einige Begriffe, die für die Erkenntnis der Erscheinungen der empirischen Wirklichkeit bestimmt sind, auf Gegenstände anzuwenden, die jenseits der empirischen Erfahrung liegen. Er hat aber ausdrücklich betont, daß diese Kritik einer überschwenglichen metaphysischen Erkenntnisform die Überzeugung des "gemeinen Menschenverstandes" im Hinblick auf seinen Glauben nicht berührt. Er sagt vielmehr, es sei im Sinne des allgemeinen Menschenverstandes vernünftig, auf Grund der "herrlichen Ordnung, Schönheit und Fürsorge, die allerwärts in der Natur hervorblickt, an einen weisen und großen Welturheber" zu glauben (Kritik der reinen Vernunft B XXXIII).
Auch behauptet Flasch, "daß es in Ostdeutschland weniger Christen gibt als im Westen, erklärt sich aus dem Erfolg der Roten Armee" – doch wohl nicht ganz, denn in Rußland, der Heimat der Roten Armee, ist das Christentum in einem Maße wieder aufgelebt, das man nicht für möglich gehalten hätte. Oder ist auch diese Wiederkehr der Religion die Folge einer politischen Machenschaft? Wie dem auch sei, Flasch behauptet hier mehr, als er beweisen kann.
Wundern muß man sich auch über seinen Kommentar zum Te Deum laudamus, wo er den "Grundakkord der religiösen Sprache", der im ständigen Loben bestehe, tadelt. Was aber nur zeigt, daß der vielwissende Mann das unverächtlichste Grundmotiv des Glaubens anscheinend nicht erkannt hat, die Möglichkeit, einem übermenschlichen persönlichen Adressaten zu danken. So sagt etwa Elias Canetti:
Das Schwerste für den, der an Gott nicht glaubt: daß er niemanden hat, dem er danken kann. – Mehr noch als für seine Not braucht man einen Gott für Dank.
Und Ernst Tugendhat bemerkt zu dem Fall, daß die Möglichkeit des Dankens aus der Perspektive des Nichtglaubens wegfällt: "Eine spezifische Weise der Transzendenz scheint verloren zu gehen, an ihre Stelle tritt eine eigentümliche Verflachung."
Ich sehe in Flaschs gelehrten Darlegungen zwei Versäumnisse, die zeigen, daß seine Leserfreundlichkeit doch ihre Grenzen hat. So eifrig er als Philosophiehistoriker auch auf jeder Seite kulturhistorische und ideengeschichtliche Argumente vorbringt, er erklärt uns doch an keiner Stelle, was er unter Historismus versteht. Er behauptet zwar wiederholt, daß er kein Historist sei, erklärt uns aber nicht, was er damit meint. Wer jedoch wie er mit dem Hinweis auf die aktuelle geistige Situation argumentiert oder sich auf philosophische Trends bezieht, um eine Sache relevant zu finden, setzt sich dem Vorwurf aus, historistisch zu argumentieren.
Das zweite Versäumnis ist nicht minder schwer. Er hat gravierende ethische Bedenken gegen die in der Bibel, besonders in der Hebräischen Bibel, vorherrschende Moral, wo gelegentlich die totale Vernichtung der Feinde anbefohlen wird, denkt aber niemals daran, seine eigene ethische Position auch nur ansatzweise zu begründen. Wer moralische Werturteile fällt, muß sich fragen lassen, welchen ethischen Maximen er folgt. Er hätte nämlich nachweisen müssen, daß es möglich sei, auf säkularer Grundlage eine menschenwürdige Ethik zu begründen. Das ist bisher noch keinem Philosophen gelungen, auch Ernst Tugendhat und Jürgen Habermas nicht, und Max Horkheimer war einer der ersten, der klar erkannt hat, daß ein solcher Versuch scheitern muß (cf. Wenn das Denken feiert, S.86ff.). Bertrand Russell hat übrigens ebenfalls eingeräumt, daß sich eine humane Ethik rational nicht begründen läßt. An dieser Stelle wäre bei Flasch weniger emotionales Bekenntnis und mehr rationale Argumentation angebracht gewesen.
Zum Schluß wäre also festzuhalten: Flasch hat zahlreiche Beziehungen beschrieben, die zwischen der christlichen Glaubenslehre und der Metaphysik der Antike und des Mittelalters bestanden und als rationale Stützen des Glaubens gelten konnten. In diesen theoriegeschichtlichen Informationen sehe ich den Hauptwert des Buches. Es regt uns an oder es fordert uns auf, diese Beziehungen genauer zu studieren. Der Autor verbreitet schlicht und einfach historisches Wissen, wo für die zeitgenössischen Leser gemeinhin nur gähnende kognitive Leere besteht.
Gelegentlich bemerkt er zu der Haltung jener Christen, die den Hauptakzent auf die ethische Seite der Religion legen: "Vollends ausschließen würde sie es, daß irgendein Christ sich zum Gebet niederkniet, solange Fernsehkameras laufen". Ein Autor, der zu einer solchen Einsicht fähig ist, hat den Geist des Christentums besser verstanden als mancher Christ.