Rez.: John Hands, Cosmosapiens. Die Naturgeschichte des Menschen von der Entstehung des Universums bis heute (2015).
Dt. H. Reuter. München: Knaus 2017.
Obloquor eis, qui omnem distinctionem solutionem esse putant. Ego tales logicas consequentias in scientiis de rebus abhorreo. Experimentum solum certificat in talibus.
Ich widerspreche den Gelehrten, welche jede begriffliche Unterscheidung für eine sachliche Lösung halten. Was mich betrifft: ich hasse logische Argumentationen in jenen Wissenschaften, die es mit Sachen zu tun haben.
In solchen Dingen gibt einzig die Erfahrung Gewißheit.
Die Gabe sich widersprechen zu lassen, ist wohl überhaupt eine Gabe, die unter den Gelehrten nur die Toten haben.
Diese Naturgeschichte des Engländers John Hands, ein studierter Chemiker, enthält nichts weniger als einen zusammenfassenden Überblick über das naturwissenschaftliche Wissen unserer Zeit, soweit es die Entstehung des Universums, der Materie, des Lebens und des Menschen zu erklären versucht. Ein Resümee der diesbezüglichen hochspezialisierten Forschungsergebnisse von Astronomie, Physik, Chemie, Biologie, Genetik, Paläontologie — ambitionierter läßt sich ein seriöses Sachbuch heute kaum vorstellen, und was John Hands in zehnjähriger Arbeit zustandegebracht hat, ist derart imposant, daß die Zeitschrift Times Literary Supplement von dem Werk eines „Universalgenies“ spricht. Das mag ein wenig übertrieben sein, doch zeigt es treffend an, daß Hands wohl der einzige Autor unserer Zeit ist, der ein derart breit und umfassend angelegtes Kompendium der naturwissenschaftlichen Forschung zu erstellen gewagt hat.
Es braucht wohl nicht eigens begründet zu werden, daß das Werk eines einzigen Autors gegenüber den üblichen Sammelbänden mehrerer Experten den gewaltigen Vorteil hat, daß ein Kopf Zusammenhänge, Widersprüche und Korrespondenzen entdecken kann, die den Spezialisten kleinstteiliger Fachgebiete verborgen bleiben.
In manchem erinnert dieses knapp neunhundertseitige Werk an die Sachbücher über die Evolutionsgeschichte der Natur, die Hoimar von Ditfurth seinerzeit geschrieben hat: Am Anfang war der Wasserstoff (1972) und Der Geist fiel nicht vom Himmel. Die Evolution unseres Bewußtseins. (1976); doch waren Ditfurths Referate und Erklärungen nicht so detailliert und umfassend. Andererseits hatte Ditfurth eine einzigartige, wunderbare Gabe: er konnte die kompliziertesten wissenschaftlichen Zusammenhänge so klar und verständlich beschreiben, daß auch ein naturwissenschaftlicher Laie sie begreifen konnte.
Diese Gabe, schwierige Dinge verständlich zu machen, besitzt Hands nun leider nicht im gleichen Maße — das ist der wichtigste Einwand, den man gegen dieses bedeutende, zweifellos überaus informative Kompendium vorbringen muß. Manche Passagen sind so formuliert, daß sozusagen jedermann sie ohne weiteres verstehen kann; viele Abschnitte sind jedoch in einer derart spezialistischen Terminologie verfaßt, daß man sie ohne einschlägige Vorkenntnisse nicht begreifen kann, und bei einigen Theorien hat man den Eindruck, daß die Erfinder dieser Theorien und vielleicht auch der Referent sie selbst nicht verstanden haben. Dies gilt besonders für die Abschnitte des ersten Teils, in denen Konzepte der Quantenmechanik und der Stringtheorie zur Sprache kommen, die nicht gründlich genug erklärt werden.
Wer sich für diese Gebiete interessiert, sei verwiesen auf die kompetenten Bücher von Brian Greene, Das elegante Universum. Superstrings, verborgene Dimensionen und die Suche nach der Weltformel (2006) und Carl Friedrich von Weizsäcker, Aufbau der Physik (1986). Weizsäckers Buch ist unentbehrlich, weil er die vielfach, auch in Hands‘ Kompendium mißverstandene These Heisenbergs von der Unbestimmtheitsrelation und der Rolle des Beobachters bei Messungen in der Mikrophysik korrekt und verständlich erklärt (cf. , Wenn das Denken feiert, 2013, 226f.; Nagels Weltanschauung, S.16f.).
Hands verfolgt mit seiner Naturgeschichte drei Ziele : Erstens gibt er eine Übersicht über die gegenwärtig favorisierten Theorien zur Evolution der Materie, des Lebens und des Menschen.
Zweitens überprüft er diese Theorien, Mutmaßungen und Spekulationen sehr kritisch, um festzustellen, was empirisch wirklich bestätigt ist oder empirisch widerlegt werden kann. Mit anderen Worten, er beschreibt die prinzipiellen Grenzen der Wissenschaft, wenn es um die physikalische, chemische oder genetische Erklärung der elementarsten Fakten der Natur und der Lebewesen geht.
Drittes ergibt sich gleichsam als Beifang seiner Nachforschungen, daß er nicht umhinkann, auch den Wissenschaftsbetrieb heftig zu kritisieren. Was die Kultur- und geisteswissenschaftlichen Zeitschriften angeht, so wundern wir uns nicht, vielmehr halten wir es fast für selbstverständlich, daß die Herausgeber dieser Blätter keine Beiträge drucken, die ihrer eigenen Meinung oder Denkrichtung widersprechen — auch daher die nahezu vollständige Irrelevanz der Kulturzeitschriften heute. Doch dachte man, daß der Forschungsbetrieb der exakten Naturwissenschaften nach rationalen, objektiven und sachlichen Gesichtspunkten organisiert sei. Diesen Mythos hat bekanntlich Thomas Kuhn gründlich zerstört, indem er zeigte, daß die Paradigmen, die herrschenden Lehren, dieser Wissenschaften nicht aufgrund einer rationalen Entscheidung gewählt werden, sondern ähnlich wie zeitgeistabhängige Moden oder gar religiöse Überzeugungen akzeptiert oder gewechselt werden.
Und Hands bringt nun eine überwältigende Fülle von Beispielen, wo alternative Forschungsansätze von den Vertretern der herrschenden Theorie in der Kosmologie und der Evolutionsforschung von Publikationen, Tagungen und Universitäten ausgeschlossen wurden. Kurzum, die akademische Stellenbesetzung, die Verteilung von Forschungsgeldern und die Publikationspraxis in diesen Disziplinen wird von der Hauptströmung der Forschung im Sinne ihrer Vertreter willkürlich und rücksichtslos, d.h. unwissenschaftlich und irrational, beherrscht.
Zunächst kann man gar nicht genug betonen, daß das Buch ein Glossar der wirchtigsten Begriffe enthält, ein kleines Lexikon für sich, das unentbehrlich ist.
Was das Verständnis wissenschaftlicher Theorien angeht, so orientiert Hands sich an der Philosophie Karl Poppers, ohne ihr jedoch genau zu folgen. Nach Popper zeichnen sich wissenschaftliche Theorien dadurch aus, daß sie prinzipiell widerlegt werden können; sie können zwar in einzelnen Fällen mit den beobachteten Tatsachen übereinstimmen, d.h. punktuell bestätigt werden, jedoch können sie niemals endgültig und absolut sicher bestätigt werden. Das heißt nichts anderes, als daß alle wissenschaftlichen Theorien von hypothetischer Art sind und daß man in der Wissenschaft immer zwischen Wahrheit und Gewißheit unterscheiden muß.
Hands unterscheidet dagegen zwischen wissenschaftlichen Hypothesen und Theorien (21 u.ö.). Er erklärt, Hypothesen seien falsifizierbar, und von den Theorien behauptet er, sie seien widerlegbar, aber absolut nicht beweisbar – was aber nichts anderes besagt, als daß sie hypothetischer Art sind. Außerdem spricht er öfter von Daten und Beobachtungen in einer Weise, die an einen induktivistischen Ansatz denken läßt und weniger an die hypothetisch-deduktive Methode im Sinne Poppers. Auch zitiert er eine Meinung, die unterstellt, in der Physik gehe es hauptsächlich um Gewißheit, ohne zu sehen, daß es in erster Linie um Wahrheit geht (156).
In der Übersetzung wird „Evidenz“ meistens als ungewohnter Anglizismus gebraucht im Sinne von Beweismaterial. Leupicius (667), der auch im Register vorkommt, ist nicht der Begründer der atomistischen Schule in der Antike, sondern ein bizarrer Druckfehler – gemeint ist vielmehr Leukipp oder Leukippos. Das griechische N wird nicht als „Nu“ (149) ausgesprochen, sondern als Ny.
Es fehlt in dem Buch eine explizite, genauere Erörterung der Kausalität, der Beziehung von Ursache und Wirkung, die doch ein Zentralbegriff der empirischen Wissenschaften ist.
Mit Recht betont Hands wiederholt die begrenzte Aussagekraft der heute vielfach ausgeführten und, wie ich hinzufügen möchte, vielfach, zum Beispiel in der Klimaforschung überschätzten Computersimulationen: man dürfe sie nicht mit der Realität gleichsetzen, eine Projektion sei keine empirische Tatsache (180, 326). Auch erklärt er im Hinblick auf tierisches Verhalten, daß ein erzwungener Altruismus nicht dem gewöhnlichen Sinn dieses Begriffs entspreche (451).
Andererseits ist höchst irritierend, daß er den Begriff des Bewußtseins außerordentlich weit faßt und sogar den Bakterien ein rudimentäres Bewußtsein zuschreibt. Was man üblicherweise Bewußtsein nennt, bezeichnet er als reflexives Bewußtsein: daß man nicht nur weiß, sondern auch weiß, daß man weiß. Ein spürbares Manko seiner Arbeit ist, daß er das Phänomen des Selbstbewußtseins oder des Selbst, das Wesensmerkmal des Menschen, nur en passant, nicht ausdrücklich behandelt. Er verbreitet sich ausführlich über die Einzigartigkeit der menschlichen Spezies, doch kommt er nicht darauf zu sprechen, daß jeder Mensch sich als Individuum in seiner Einzigartigkeit erlebt. John C. Eccles hat das Problem der Entstehung des Selbst gründlich untersucht und da „unsere erlebte Einmaligkeit mit materialistischen Lösungsvorschlägen nicht zu erklären ist“, sich gezwungen gesehen, die „Einmaligkeit des Selbst oder der Seele auf eine übernatürliche spirituelle Schöpfung zurückzuführen“ (Eccles, Die Evolution des Gehirns – die Erschaffung des Selbst, 1989, 381).
Hands hat dieses begriffliche oder philosophische Problem offensichtlich nicht erkannt oder als wichtig eingestuft, was wohl damit zusammenhängt, daß er in der Philosophie nicht besonders bewandert zu sein scheint. Dies zeigt sich auch daran, daß er nicht strikt zwischen Natur und Kultur unterscheidet, ordnet er doch seine Skizzen über Mythologie, Philosophie und Wissenschaft in die Naturgeschichte ein, wo sie doch in die Kulturgeschichte gehören.
Dieser Teil ist der schwächste Teil seines Buches, und ich werde nicht weiter darauf eingehen. Hier möchte ich nur auf einige Fehlstellen aufmerksam machen. Er weist mit guten Gründen daraufhin, daß die Griechen von den Babyloniern viele mathematische und astronomische Kenntnisse übernommen haben, erklärt aber nicht, worin die griechische Philosophie und Wissenschaft den Babyloniern letztlich überlegen war – Jacob Burckhardt hat diese Frage in seiner Kulturgeschichte ausdrücklich gestellt und befriedigend beantwortet. Auch sucht man bei Hands den Namen des Aristarch von Samos (310-230 v. Chr.) vergebens; dieser hatte wie Kopernikus ein heliozentrisches Weltbild entworfen. Das Werk des Kopernikus heißt natürlich nicht Über die Umschwünge der himmlischen Kreise (699), sondern De revolutionibus orbium caelestium, was richtig zu übersetzen ist mit: Von den Umdrehungen der Himmelskörper.
Die erklärte Intention von Hands ist, die wichtigsten geistigen Leistungen des Menschen zu beschreiben. Dabei hat er einen der genialsten Menschen nicht nur unserer Zeit, sondern der Menschheitsgeschichte überhaupt schlicht vergessen: Kurt Gödel, der den Satz von der Unvollständigkeit der elementaren Zahlentheorie aufgestellt und bewiesen hat; dies hat unter anderem die weitreichende Folge, daß es keine wahren Systeme geben kann, die vollständig beweisbar sind. Vor Gödel hat kein Logiker geglaubt, daß diese These über eine absolute Schranke des Wissens wirklich bewiesen werden könnte.
Übrigens war Gödel Platoniker, wie W.V.O. Quine treffend bemerkt: „Er glaubte an die Realität der abstrakten Gegenstände der Mathematik und an die Fähigkeit des menschlichen Geistes, sie intuitiv zu erkennen.“ Es dürfte wohl evident sein, daß diese Einstellung Gödel überhaupt erst in die Lage versetzte, seine berühmten Lehrsätze aufzustellen. Damit ist auch die These von Hands widerlegt, daß im wissenschaftlichen Denken der Neuzeit die Intuition keine entscheidende Rolle mehr spiele. Im Gegenteil muß man annehmen, daß keine Wissenschaft ohne originelle Einfälle und schöpferische Ideen auskommt, typische Früchte intuitiven Denkens.
Es überrascht denn auch nicht, daß Hands den Status abstrakter Gegenstände, als da sind: Zahlen, Klassen, Typen, objektive Gedanken, Ideale, Theorien, Probleme – kurzum jenen Bereich, den Popper Welt 3 nennt, nicht explizit behandelt und als die wesentlichste Eigenart der menschlichen Kultur beschreibt. Mit Welt 1 ist der Bezirk der physischen Dinge und Ereignisse gemeint, mit Welt 2 der Bezirk der mentalen, psychischen Dinge und Ereignisse.
Die Stärke unseres Autors besteht im genauen, kritischen und unvoreingenommenen Bericht über die neuesten Forschungsergebnisse der Naturwissenschaften, die mit der kosmischen und biologischen Evolution befaßt sind.
Was die Entstehung und Entwicklung des Weltalls angeht, so kommt Hands zu dem Schluß, daß keine der vorliegenden Deutungen als eine wissenschaftliche Theorie betrachtet werden kann, die die vorliegenden Tatsachen im Rahmen der bekannten Naturgesetze befriedigend erklären könnte. Er resümiert:
"Vor 50 Jahren führten Belege, die wohl nicht neu waren, dazu, daß die Vorstellung eines Big Bang [Urknall] zur Lehrmeinung wurde. Weil andere Belege mit dem Big-Bang-Modell in Konflikt gerieten, schloß die herrschende kosmologische Lehre ungefähr 20 Jahre später, daß das ursprüngliche Universum einer nicht näher bestimmbaren, aber unglaublich kurzen und unglaublich großen inflatorischen Expansion unterworfen gewesen sei, ehe es in eine sehr viel geringere, langsamer werdende Expansion überging. Noch einmal 15 Jahre später interpretierte die Lehrmeinung die Belege dahingehend, daß die abnehmende Expansion des Universums nach zwei Dritteln seiner Lebensdauer aus noch unbekannten Gründen begonnen habe, sich wieder zu beschleunigen – wenn auch bei weiten nicht mit der Rate der inflatorischen Periode."
Und Hands schließt, daß kein Mensch heute sagen könne, wie in zehn Jahren die kosmologische Evolution wissenschaftlich erklärt werde (220).
Er verweist auch auf drei Fragen, die für die angenommenen Theorien wesentlich sind. Die Expansion des Alls folgert man aus der Rotverschiebung im Lichtspektrum der Sterne; damit ist vorausgesetzt, daß die Rotverschiebung immer und überall ein zuverlässiges Maß für die Entfernung ist. Dies wird jedoch von einigen Kosmologen angezweifelt (125). Außerdem referiert Hands die Annahme einiger Forscher, die behaupten, daß nicht die Sterne selbst sich bewegen, sondern der Weltraum sich schneller ausdehne als die Lichtgeschwindigkeit – was er für eine „jesuitische“ Deutung hält (59, 63). Schließlich folgert er, daß das vorliegende kosmologische Modell nicht sagen kann, „ob das Prinzip der zunehmenden Entropie auf das Universum als Ganzes anwendbar“ sei – womit ein weiteres Naturgesetz in Frage gestellt wäre (221).
Allgemein erwähnt er ebenfalls die bekannte, auch von Brian Greene diskutierte Tatsache, daß keine heute vertretene Theorie begreiflich machen kann, warum es die bekannten Naturgesetze gibt und warum die Naturkonstanten, die Lichtgeschwindigkeit, die Plancksche Konstante u.ä. genau die beobachteten Werte haben. Würden sie auch nur in Bruchteilen von ihrer Größe abweichen, dann wäre das Weltall in der vorliegenden Form und der bekannten Evolution nicht entstanden.
Dieser Teil ist das Hauptstück, der informativste, umfangreichste, am besten erklärte und alles in allem auch der überzeugendste Teil des Buches. Hands übt darin nicht nur produktive Kritik an der Standardlehre des Neodarwinismus, er stellt auch eine alternative Theorie auf und formuliert vier allgemeine Gesetze der Evolution.
Er beschreibt das Leben als eine system-emergente Eigenschaft und resümiert, daß es wahrscheinlich nur einmal auf der Erde entstanden sei. Zu den Anfangsbedingungen, die für die Entstehung von komplexen organischen Molekülen notwendig waren, bemerkt er, daß eine berühmt gewordene Erklärung der bisherigen Forschung sich als unhaltbar erwiesen habe. Gemeint ist das Experiment von Stanley Miller (1953), das übrigens auch ein zentraler Beweis für die Auffassung der Evolution bei Ditfurth ist. Miller nahm an, daß die Atmosphäre in der Frühzeit der Erde aus Wasserstoff, Methan, Ammoniak und Wasserdampf bestand und Energie von der Sonne und durch Blitzschläge bezog. Dieses Gemisch, gekocht, füllte Miller in einen Glaskolben und behandelte es mit elektrischen Ladungen – als Ergebnis fand er nach einer Woche drei Aminosäuren vor, die just zu den zwanzig Aminosäuren gehörten, die für alle Organismen lebensnotwendig sind. Man kann leicht verstehen, daß dieses Ergebnis seinerzeit als ein sensationeller Beweis für die natürliche Herausbildung lebenswichtiger Verbindungen betrachtet wurde.
Dagegen wendet Hands aufgrund neuerer Forschungen nun ein, daß die irdische Atmosphäre früher anders zusammengesetzt gewesen sein müsse, als von Miller angenommen wurde. Vor allem aber hatten die in seinem Versuch produzierten Aminosäuren nicht die spezifische chemische Struktur der Aminosäuren lebender Organismen. Seit sechzig Jahren gab es keine erfolgreichen Laborversuche mehr in dieser Sache. Schließlich erklärt Hands, daß es die Fähigkeiten der Wissenschaft wohl übersteige, die Entstehung des Lebens zu erklären.
Daß eine Evolution der Lebewesen stattgefunden hat, ist natürlich wissenschaftlich unbestritten. Umstritten sind jedoch die diversen Theorien, die diese unglaublich vielseitigen und diffizilen Zusammenhänge erklären sollen. Hands geht es in erster Linie darum, die herrschende Lehre der Evolution, den Neodarwinismus, kritisch zu überprüfen und seine Lücken und Fehler aufzuzeigen.
So kann es nicht überraschen, daß er auch eines der Paradebeispiele für die neodarwinistische Erklärung, daß die Auslese bestimmter, durch Mutation entstandener Varianten, das Überleben dieser Lebewesen begünstigt oder verursacht, kritisch destruiert. Ein offensichtlicher Beleg für eine Auslese durch veränderte Umweltbedingungen war nach Meinung der Experten die farbliche Veränderung der Birkenspanner während der Industrialisierung in England. Der Birkenspanner ist ein Nachtfalter, der in der typischen Form weiß gefärbt und dunkel gepunktet und gezeichnet ist. Als die Bäume zunehmend verrußten, wurden die hellen Falter eine leichte Beute der Vögel, während die dunkelbraune Variante des Schmetterlings sich ungestört vermehren und zur vorherrschenden Variante der Art werden konnte. So die übliche Erklärung, die auch Ditfuhrt (1972) übernommen hat.
Hands führt nun einige Stimmen an, die dieser Theorie widersprechen: in erster Linie die angebliche „Tatsache“, daß der Birkenspanner nicht auf Baumstämmen sitze und daß bei Nachtfaltern keine Neigung bestehe, passende Untergründe zu wählen. Weiter führt er an, es gebe keine strengen Beobachtungen dafür, „daß das Beuteverhalten von Vögeln eine genetische Mutation einer Population dominant werden läßt“ (432f.).
Als Laie ist man von diesen Einwänden überrascht, zumal in den meisten Nachschlagewerken als Tatsache vorausgesetzt wird, daß Birkenspanner tagsüber auf Baumstämmen oder Mauern sitzen, und es ist kaum zu glauben, daß die Lepidopterologen, die Schmetterlingskundler, bis heute die Frage nicht geklärt haben sollen, ob dieser Nachtfalter tagsüber auf Bäumen anzutreffen ist oder nicht.
Zu dem Phänomen des industriellen Melanismus (Dunkelfärbung) im Falle des Birkenspanners bemerkt Hands, es sei mit der Veränderung der Umwelt aufgetreten und wieder zurückgegangen, als die Umweltbedingungen sich verbesserten – es liege also eine reversible Änderung vor, was nicht bedeute, „daß eine Art evolviert“ (434). Doch hat dies zum Beispiel Ditfurth auch keineswegs behauptet. Er hat nur demonstriert, daß die dunkle Form des Falters nun die bessere Überlebensbedingungen habe, daß die helle Form aber keineswegs ganz verschwunden sei, sondern nur geringere Überlebenschancen habe. - An diesem Beispiel zeigt sich, daß Hands doch gelegentlich in entscheidenden Punkten die begriffliche Genauigkeit vermissen läßt.
In seiner Zusammenfassung der Theorien, die zur biologischen Evolution aufgestellt wurden, kommt er zu dem plausibel klingenden Schluß, daß die Kooperation der Organismen und Lebewesen für das Überleben wahrscheinlich wichtiger gewesen sei als die Konkurrenz. Und gegen das neodarwinistische Paradigma bestreitet er, daß die natürliche Selektion die biologische Evolution verursache: „sie kann jedoch keine Ursache sein, solange die Natur nicht auswählt, denn selektieren heißt wählen“ (568).
Zur Entstehung des Menschen, die er im vorigen und diesem Hauptteil diskutiert, nimmt er als gesicherte Erkenntnis an, daß der Mensch sich aus früheren Lebensformen entwickelt hat. Zur Entwicklung des Menschen resümiert er aber, daß sich aufgrund der lückenhaften Belege niemals feststellen lasse, „wann, wie und warum Menschen entstanden sind“ (622).
Nicht ganz klar ist jedoch die Behauptung: „Identifiziert man den Menschen als komplexeste bekannte Spezies, so heißt das selbstverständlich nicht, daß die Spezies Mensch der Gipfel oder der Endpunkt der Evolution ist, sondern nur, daß sie bislang die komplexeste Art ist.“ (486) Dazu paßt augenscheinlich nicht die wiederholt vorgebrachte These, daß die Menschen keiner physischen Evolution unterworfen seien. Der Mensch habe vor 5000 Jahren aufgehört, sich genetisch zu entwickeln; folglich, d.h. unter den sozialen und medizinischen Bedingungen höheren menschlichen Alters, habe die Natur ihre Fähigkeit zur Selektion verloren (624f.). Daß der Mensch sich biologisch nicht weiter entwickle, ist auch die Auffassung von Eccles.
Dagegen war Hoimar von Ditfurth der Meinung, die Annahme, daß der Mensch das Ende und der Gipfel der biologischen Evolution darstelle, sei Ausdruck seines Hochmuts und Egozentrismus. Alle biologischen, philosophischen und ethischen Überlegungen Ditfurths zur Zukunft der Menschheit gründen sich auf die Annahme, daß wir nicht die endgültige Variante der menschlichen Spezies seien.
In seiner Kritik der herrschenden Lehren bringt Hands viele Argumente vor, die unmittelbar einleuchten, so etwa die Aussage, daß gleiche Gene nicht ohne weiteres auf gleiches Verhalten schließen lassen. Mit der folgenden Aussage widerspricht er der Ansicht zahlreicher materialistischer Wissenschaftler und Philosophen, die sich mit der Hirnforschung befassen: „Selbst wenn wir davon ausgehen, daß unser Geist durch Neuronen und ihre Wechselwirkungen erzeugt wird oder daraus hervorgeht, ist der Geist nicht dasselbe wie das Gehirn.“ Er erklärt richtig, daß es nicht die Neuronen in unserem Gehirn sind, die unsere Entscheidungen zum Handeln treffen. Hier nimmt er eine vergleichbare Position wie Popper und Eccles ein, die ihre Auffassung in ihrem bekannten gemeinsamen Buch um einiges sachkundiger dargelegt und begründet haben (Das Ich und sein Gehirn (1991)).
Weniger einleuchtend sind die Gedankenexperimente, d.h. fiktionale Beschreibungen, die Hands zur Frühgeschichte Menschen anstellt, während man doch mit Staunen registriert, daß es noch manche Schrift archaischer Kulturen gibt, die nicht entziffert ist, so daß man auch hier noch auf Überraschungen gefaßt sein muß.
Zu den philosophischen Exkursen des Buches möchte ich nichts weiter sagen, als daß sie insgesamt enttäuschen, wenn ich auch nicht bestreiten will, daß sie rudimentäre Kenntnisse vermitteln, was in unserer bildungslosen Zeit auch nicht zu verachten ist. Nur wenige Anmerkungen, die meinen Vorbehalt bestätigen. Hands scheint nicht zu wissen, daß Boethius (480-524 n. Chr.) einige logische Schriften des Aristoteles übersetzt und dem Mittelalter überliefert hat und daß im 12. Jahrhundert Aristoteles nicht nur aus dem Syrischen und Arabischen ins Lateinische übersetzt wurde, sondern vor allem auch aus dem griechischen Original, das die arabischen Philosophen gleichfalls, dann auch die byzantinischen Gelehrten vermittelt haben.
Er behauptet als gewiß, daß praktisch alle antiken Philosophen in der Ethik die Selbstlosigkeit und die Goldene Regel vertreten hätten — belegt hat er seine ebenso gut gemeinte wie unglaubwürdige Behauptung aber nicht (692).
Wenig plausibel ist die Berechnung, die Hands zur abnehmenden Aggression des Menschen in der neueren Zeit und der Gegenwart anstellt. Das zwanzigste Jahrhundert hatte in der Geschichte von Kain und Abel bis heute die größte Zahl von Menschenopfer durch Kriege, Genozide, politische Unterdrückung und Verfolgung zu verzeichnen — und gegen diese Hunderte Millionen Menschenopfer mit statistischen Argumenten zu behaupten, daß die menschliche Aggression sich abgeschwächt habe, ist schlicht unseriös (742ff.).
Nicht ganz ernst nehmen kann man auch seine Neigung, im Sinne der New-Age-Bewegung die Quantentheorie als Parallele zu mystischen Einsichten aufzufassen (585). Derartige Überlegungen entwerten dieses Kompendium doch ein wenig, das in seinen rein wissenschaftlichen und kritischen Passagen außerordentlich informativ und anregend ist.
Der stärkste Eindruck, den dieses umfassende Resümee des wissenschaftlichen Fortschritts auf dem Gebiet der kosmologischen und biologischen Evolutionstheorien vermittelt, ist meines Erachtens folgender: Diese Wissenschaften haben in den letzten Jahrzehnten die erstaunlichsten Erkenntnissen gewonnen. Sie haben viele Rätsel des Weltalls im großen, der Materie im kleinen und der Abstammung und der Entwicklung der Organismen gelöst. Mit jeder Lösung von Problemen wurden jedoch neue Fragen, Probleme und Rätsel entdeckt, die beantwortet und gelöst werden müssen. Die Natur scheint in diesem Sinne unerforschlich zu sein.
Vor zwanzig Jahren hatte Dietrich Schwanitz ein geisteswissenschaftlich orientiertes Kompendium der Bildung vorgelegt (cf. , Rückblick auf ein Bildungskonzept). Das Handbuch von Hands ist die notwendige, zumindest gleichwertige Ergänzung zu dem Werk von Schwanitz, gleich lesenswert, wenn es auch in manchem die größten Anforderungen an das Verständnis des Lesers stellt.