Für einen Hasenbraten braucht man wenigstens eine tote Katze.
Dieses philosophische Buch ist ein Bestseller und Markus Gabriel, Jahrgang 1980 und mit 29 Jahren Professor, galt als philosophischer Wunderknabe. Doch wie es bei Wunderknaben manchmal so geht, er konnte die in ihn gesetzten Erwartungen doch nicht ganz erfüllen. Daß ein philosophisches Buch ein Bestseller wird, beweist ja noch nicht, daß es sich um ein solides, seriöses Werk der Philosophie handelt. Es besagt nur, daß es eingängig geschrieben ist und Fragen behandelt, die viele Leser interessieren, die ein „metaphysisches Bedürfnis“, wie Schopenhauer sagt, oder einen „metaphysischen Trieb“ haben, wie unser Autor sagt.
Das Buch ist ein Jugendwerk im doppelten Sinne. Es ist ein Frühwerk eines jungen Autors und es spricht vor allem auch jugendliche Leser an, Konsumenten der Unterhaltungskultur des Fernsehens, der Gabriel im Schlußkapitel seine philosophische Aufmerksamkeit schenkt. Die intellektuelle Wertschätzung der amerikanischen Pop-Kultur und die Vertrautheit mit ihr dürfte ein Hauptgrund für den großen Erfolg des Werkes sein. Wenn Gabriel allerdings die neueren amerikanischen Fernsehserien mit Marcel Prousts Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit vergleicht, verrät er, daß er, was Proust angeht, nicht weiß, wovon er spricht.
Was Gabriel zu sagen hat, ist teils ganz amüsant, teils auch informativ und wahr, teils aber auch offenkundig falsch und widersprüchlich, meist aber unnötig vollmundig, gelegentlich auch unerträglich arrogant. Das Buch soll keine schlichte Einführung in die traditionelle Philosophie und ihre Geschichte sein, sondern die allgemeinverständliche Darstellung einer neuen Philosophie (S. 24). Daß er verständlich schreiben möchte, ist natürlich ein Vorhaben, das man nur begrüßen kann. Die Frage aber ist, ob das, was er zu sagen hat, auch wahr ist. Manches, was er sagt, ist aber keineswegs neu, sondern zum Glück längst bekannt oder schlichtes Wissen des gewöhnlichen Verstandes. Ich werde nicht alle Behauptungen Gabriels überprüfen, sondern nur auf ein paar Aussagen hinweisen, die nicht stimmen können.
Die Titelformulierung ist ein rhetorischer Trick, der auf eine willkürlich gewählte begriffliche Festlegung zurückgeht. Der rationale Kern der Behauptung, daß es die Welt nicht gibt, besteht darin, daß wir unter der Welt nicht einen Gegenstand der gleichen Art verstehen, wie wenn wir von einzelnen Dingen sprechen. Die Welt ist ein besonders geartetes Objekt, das sich, als Gesamtheit der Einzeldinge, von den Einzeldingen wesentlich unterscheidet. Soweit kann man der Analyse zustimmen und man kann fragen, ob die Welt, weil sie ein anderes Wesen hat als die einzelnen Seienden, in dem gleichen Sinne existieren kann wie die Einzeldinge. Diesen naheliegenden Gedanken erwägt Gabriel aber nicht, sondern er behauptet, daß man nur von Einzeldingen sagen könne, daß es sie gebe, und er schließt daraus, „daß es außer der Welt alles gibt“ (S.18). Dies ist seine Hauptthese, die er aber keineswegs überzeugend begründen kann. Auch widerspricht sie dem gesunden Menschenverstand und dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, der sich philosophisch durchaus rechtfertigen läßt.
Fragwürdig ist zunächst auch, wie er den Begriff der Welt beschreibt. Er meint, wir verstünden unter Welt gewöhnlich die Gesamtheit aller vorhandenen Dinge (S. 47). Dabei vergißt er die Gesamtheit der Ereignisse, die Geschichte, worauf besonders Heidegger hingewiesen hat. Dann ergänzt Gabriel die übliche Auffassung, indem er mit Wittgenstein annimmt, daß die Welt die Gesamtheit der Tatsachen sei. Was er unter einer Tatsache versteht, beschreibt er in einer gekünstelten sprachlichen Form, der Form eines obskuren Amerikanismus, der recht dubios ist: „Eine Tatsache ist etwas, das über etwas wahr ist. Es ist wahr über den Apfel, daß er sich in der Obstschale befindet.“ (S. 48) Ich erspare es mir, dieses Kauderwelsch in eine korrekte Sprache zu übersetzen, und will nur darauf verweisen, daß Gabriel zu seinem Schaden Wittgensteins Erläuterung der Tatsache durch einen Sachverhalt, der besteht, nicht übernommen hat. Das Problem von „Satz und Tatsache“ hat übrigens Günther Patzig in einem klassischen Aufsatz gründlichst behandelt (G. Patzig, Sprache und Logik, 1970).
Gabriel definiert Existenz als Vorkommen in der Welt. Weil er annimmt, daß auch Falsches in der Welt vorkomme, dies aber sprachlich ungewöhnlich klingt, definiert er Existenz als Erscheinung in einem Sinnfeld. Erscheinung ist hier als Synonym für Vorkommen gemeint und steht nicht im Widerspruch zu Gabriels Kritik an Kants These, daß wir nicht die Dinge an sich erkennen, sondern wie sie uns erscheinen. Der modernen Logik wirft er vor, daß sie annehme, daß nur zählbare Gegenstände existierten. Er behauptet aber, daß Existenz eine Ortsangabe beinhalte, was heißen soll, daß etwas in einem Sinnfeld erscheine. Er erklärt aber nicht, wie die offenkundig metaphorisch zu verstehende Ortsangabe denkbar ist, wenn man von Unterscheidbarkeit des Gemeinten absieht. Und wie soll sich Unterscheidbarkeit von Zählbarkeit unterscheiden? Es soll vielmehr alles in der Welt geben, jedoch nicht die Welt selbst.
Dies alles ist kaum halb verständlich und keineswegs evident und konsistent. Er spricht von der „Welt, in der wir leben“ und nimmt andererseits an, daß es die Welt nicht gibt, Gedanken über die Welt im ganzen seien nicht wahrheitsfähig (S. 124f.) Er schreibt: „Die Einsicht, daß es die Welt nicht gibt, hilft uns, uns der Wirklichkeit wieder anzunähern ...“, und zwei Seiten weiter behauptet er, daß „die Realität“ ein Totalbegriff sei, der uns etwas vorgaukele, das es gar nicht gibt (S. 176ff.) Was ja wohl offenkundig ein Widerspruch ist, woraus sich folgern läßt, daß Gabriel sein Weltverständnis nicht widerspruchsfrei beschreiben kann. Er erklärt, es gebe kein Prinzip, das alles zusammenhalte und organisiere, deshalb gebe es die Welt nicht (S. 211). Man kennt aber ein These, die ein solches Prinzip annimmt: den Determinismus. Gabriel aber ist weit davon entfernt, den metaphysischen Determinismus widerlegt zu haben. Seine angeblich "neue" Philosophie scheint den alten, aber gut begründeten logischen Grundsatz nicht zu kennen: Gratis affirmatur, gratis negatur. D.h. was grundlos behauptet wird, kann man grundlos bestreiten.
Zustimmen kann man dagegen den Argumenten, die er gegen den Szientismus vorbringt; auch seine Widerlegung des sich auf die neuere Hirnforschung stützenden Neokonstruktivismus ist durchaus überzeugend. Beipflichten kann man ebenso der Klarstelltung: „Religion ist kein Wissensanspruch, der in Konkurrenz zu wissenschaftlichen Theorien auftritt“, wenngleich dies in schlechtem Deutsch formuliert ist. Was er über die Religion, an Schleiermacher anknüpfend, den menschlichen Geist, die Kunst sonst noch ausführt, möchte ich nicht näher untersuchen — es ist einfach zu vage und willkürlich, als daß sich eine Auseinandersetzung lohnte. Dazu sei nur gesagt, daß die Hexenverfolgung auf einen Aberglauben germanischen Ursprungs zurückgeht und mit der spanischen Inquisition wenig zu tun hat (S. 116). Seine Behauptung, die Äußerung Jesu, daß sein Reich nicht von dieser Welt sei, stehe der These nahe, daß es die Welt nicht gibt, ist eine kühne, aber falsche Schriftauslegung und schlechte Philosophie (S. 211).
Anerkennen kann man wiederum, daß Gabriel plausibel angedeutet hat, was bei Heidegger unter „Lichtung“ zu verstehen ist. Auch hat er Rilkes Gedicht über die Kindheit überzeugend als sprechendes Beispiel einer Sinnfeld-Beschreibung interpretiert. Dagegen hat er Heideggers Sein zum Tode rein existentialistisch aufgefaßt, ohne den ontologischen Kontext dieses Gedankens zu beachten.
Es dürfte, alles in allem, klar geworden sein, daß die Lektüre und die Diskussion dieses Werk, das eine neue Philosophie, einen neuen Realismus und eine neue Ontologie einführen möchte, nicht allzu ergiebig ist. Statt jenes neuen Realimus ziehe ich den kritischen Realismus vor, den Alan Musgrave in seinem Buch über Alltagswissen, Wissenschaft und Skeptizismus (1993) im Anschluß an Karl Popper besprochen hat. Fragen über die logische Form von Sätzen, über Existenz und Wahrheit werden von Ernst Tugendhat und Ursula Wolf in ihrer Logisch-semantischen Propädeutik (1983) in aller wünschenswerten begrifflichen Klarheit einsichtig behandelt. Überaus lesbar, fair und seriös ist schließlich die Einführung in die Philosophie, die Herbert Schnädelbach vorgelegt hat: Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann (2013).