Filmtheoretischer Prolog
"Pfeile in der Dämmerung"
"Auf eigene Faust"
"Drei Rivalen"
"Rivalen unter roter Sonne"
Kritik des Western
Abschied vom Western
Ende
Im folgenden werde ich meine Lieblings-Western vorstellen, auch deshalb, weil sie nicht zu den bekanntesten ihrer Art gehören. Gewiß, ich schätze und sehe von Zeit zu Zeit gerne auch die Klassiker des Genres: Stagecoach, High Noon, Der Mann, der Liberty Valance erschoß, Red River, Shane, Der Mann aus dem Westen und natürlich auch The Searchers, deutsch mit dem unsinnigen Titel: Der schwarze Falke, das Original hymnisch von Herbert Achternbusch gelobt: „Wenn dieser Film von mir wäre, hätte ich nichts mehr zu sagen“. Doch gefallen mir besonders die folgenden vier Filme, sie haben ihren eigenen Charme und eine Qualität, die man sonst nicht findet: Pfeile in der Dämmerung von Lesley Selander, Auf eigene Faust von Budd Boetticher, Drei Rivalen von Raoul Walsh und Rivalen unter roter Sonne von Terence Young.
Bevor ich sie aber bespreche und würdige, will ich ein paar allgemeine Worte über ihre Gattung sagen. Es ist ein Genre der Unterhaltung und des Kommerzes, da die Herstellung der Werke technisch aufwendig und kostspielig ist, meines Erachtens einer der wichtigsten Beiträge Amerikas zur modernen Kultur. Von feinsinnigen Köpfen diesseits und jenseits des Atlantiks wird der Western ebenso verachtet wie der Kriminalroman. Diese Stimmen aber kann man getrost den Leuten ihrer Art und ihrer Langeweile überlassen.
I. Wie vor allem Siegfried Kracauer erklärt hat, besteht das elementarste Wesen des Films darin, daß er die einzige mediale Gattung ist, die Bewegung abbilden und wiedergeben kann. Bewegung aber ist Ortsveränderung, Fahrt, Ritt, Rennen, Tanz, Kampf, Tätigkeiten aller Art, mit einem Wort: Action. Zu jedem guten Film gehört eine Verfolgungsjagd, und es kommt in jedem Fall darauf an, dieser Konvention einen originellen Aspekt abzugewinnen. John Fords Kavallerie-Western Der Teufelshauptmann (She wore a yellow ribbon) besteht zu gut einem Drittel aus Verfolgungsjagden, Ritten und Märschen vor dem monumentalen Horizont der Felsenberge.
II. Der Film ist eine visuelle und akustische Gattung, ein Medium der Äußerlichkeit. Ihr gattungstheoretisches Ziel ist — wiederum nach der „Theorie des Films“ von Kracauer — die „Errettung der äußeren Wirklichkeit“. In den anderen Künsten, in Malerei und Literatur, ist die Abbildung oder Beschreibung der äußeren Natur, des Schauplatzes, der Gegenstände immer der Bedeutung und dem Thema des Werkes untergeordnet, d.h. ideell geprägt. Im Film werden die physische Wirklichkeit, die Landschaft, die körperlichen Dinge, Himmel und Erde, um ihrer selbst willen gezeigt und abgebildet. Sie behalten ihren Eigenwert und stehen oft genug im Kontrast zur Handlung. Der Film zeigt auch das, was nicht im Drehbuch stand: die seltenen Gewitterwolken der Wüste im Teufelshauptmann.
Der Western mag nicht immer historisch verbürgte Ereignisse schilderm, sondern meistens Legenden, doch bildet er sie in realistischer Form ab.
III. Aus diesen beiden Thesen folgt unmittelbar, daß der Western der filmischste Film ist. Er bringt das Wesen des Films am reinsten zum Ausdruck. So sagt denn auch Anthony Mann treffend: „Der Western ist für mich das größte Film-Genre. Im Western kann man leicht die Leidenschaft und die Gewalttätigkeit darstellen.“ Allgemeiner ausgedrückt, sollte es heißen, daß der Zweck und der Inhalt des Western darin besteht, Bewegung in Form von Fahrten, Ritten und Kämpfen darzustellen und zwar im Idealfall, der hier der normale Fall ist, inmitten der freien Natur, der großartigen Landschaft des amerikanischen Westens und der umliegenden Länder. Es gibt Western wie Der Garten des Bösen, Der Marschall, Nevada Smith — übrigens alle von Henry Hathaway —, die wunderbare Naturansichten bieten und dadurch eine Qualität gewinnen, die der Güte der Handlung gleichwertig ist.
Der Western ist der Film, der von sich aus verlangt, im Freien gedreht zu werden — außerhalb des Ateliers und ohne die technischen Tricks des Studios. So wurde etwa in Red River der Ritt bergab ins Lager der bedrängten Schausteller, der Ritt von M. Clift und N. Beery, sichtlich auf Schaukelpferden im Studio aufgenommen, ein Schönheitsfehler in einem großen Film.
IV. Aus der Eigenart des Films, daß sein Daseinszweck in der Abbildung von Bewegung besteht, ergibt sich von selbst, daß in ihm die äußere Handlung das Primat hat und die Rede sekundär ist. So sagt denn auch Kurt Tucholsky mit vollem Recht: „Der beste Filmtext ist: gar keiner“. Von den modernen Regisseuren hat Jean-Pierre Melville diesen Grundsatz am konsequentesten verfolgt. In seinem Film Vier im roten Kreis, dessen Handlung übrigens die Struktur eines Western hat, gibt es ausgedehnteste Sequenzen ohne ein einziges Wort, und von den deutschen Schauspielern hat Hans Albers als erster begriffen, daß die menschliche Stimme im Tonfilm — im krassen Gegensatz zum Theater — zunächst einmal nur den Charakter eines Geräusches hat. Gute Theaterschauspieler sind nicht immer auch gute Filmschauspieler. Es gibt Burgschauspieler, die im Film keinen normalen Satz im normalen Tonfall aussprechen können, siehe die Wiener Stars im Dritten Mann und Senta Berger in Sierra Charriba. „Ich glaube, ich rede zu viel“, ist ein Standard-Diktum im Western, besonders von Frauen.
V. Der Film, erst recht der Western, ist ein episches Genre, kein psychologisches. Er stellt die äußere Wirklichkeit dar, den Ausdruck und die sichtbaren Folgen der Leidenschaft, nicht aber unmittelbar das gedankliche und emotionale Innenleben der Personen. Er bildet Taten ab, nicht Gedanken und Bewußtseinsvorgänge. Die Darstellung der mentalen Welt ist die ureigene, unbestrittene Domäne des Romans. Prousts „Recherche“ verfilmen ist gegen Natur und Wesen des Films, wie denn auch die meisten Verfilmungen der sogenannten höheren Literatur, seien es Romane oder Dramen, rein als Filme betrachtet, künstliche Produkte sind — „künstlich“ im Sinne von Kunsthonig. Daß man den Spielfilm in früheren Zeiten als photographiertes Theater auffaßte, in prächtigen Kulissen schwelgte, war ein fundamentales Mißverständnis, ein Kategorienfehler mit den geschmacklosesten Folgen. Daß psychologisch aufgezäumte Western, womöglich noch mit einem tiefenpsychologischen Touch, durchweg ungenießbar sind, weiß jedes Kind.
VI. Der Western erzählt moralische Geschichten. Er handelt von Verbrechen und Strafe, von Verbrechen und Rache, von Vergeltung oder Vergebung, von Recht und Gewalt, von Macht und Gerechtigkeit in einer Welt an der Grenze der staatlichen und rechtlichen Ordnung. Selbst bei den Konflikten mit den Indianern geht es letztlich um ethische und rechtliche Fragen, Fragen des Völkerrechts, Vertrag und Vertragsbruch. Daß der amerikanische Bürgerkrieg wegen eines moralischen Ideals, der Abschaffung der Sklaverei, ausgebrochen ist und wie jeder Krieg die Frage nach dem Recht der Gewalt aufwirft, braucht nicht lange erklärt zu werden.
VII. Der Western ist ein historisches Genre. Er stellt die Besiedlung Nordamerikas dar, bis die Eisenbahn den Pazifik erreicht und bis zu der Zeit, wo ein Zug nicht schneller fahren als ein Pferd galoppieren kann. Der Western spielt in der Zeit, wo die Welt dem gehörte, der ein schnelles Pferd und eine Stunde Vorsprung hatte, wie es in einem Krimi heißt. Das Pferd aber, „die stolzeste Eroberung, die der Mensch gemacht hat“, war der wertvollste Besitz jener Jahre, Pferdediebstahl ein Kapitalverbrechen, und Western konnten glaubhaft solange gedreht werden, als es noch Pferde im Alltag gab, d.h. bis in die fünfziger, sechziger Jahre, als man hüben und drüben noch Pferdegespanne kannte.
Spiel mir das Lied vom Tod (1968) markiert das Ende der Ära des Western. Dieser Film ist denn auch kein eigentlicher Western mehr, sondern ein opernhafter, exzessiv ästhetizistischer Film über den Western, eine opulente Darstellung von Schau-Effekten, die mit der historischen Wirklichkeit nichts zu tun haben, wenngleich auch sie zur Tradition des Western gehören.
Die Western, die später gedreht wurden, sind nur noch in Ausnahmefällen sehenswert, so etwa Erbarmungslos von Clint Eastwood. Die meisten Produkte der letzten Jahre sind einfach visueller Schrott, mißglückte Remakes bekannter Titel, mit Brutalos spielenden Milchknaben als Haupt- und Nebenfiguren, oder naturmystischer Kitsch. Daß auch zur Hochblüte des Western viele Streifen billigste Produkte waren, braucht nicht belegt zu werden — sie waren aber nicht die Regel.
VIII. Wie Joe Hembus in seinem informativen, obschon nicht immer urteilssicheren Western-Lexikon mitteilt, ist der Western aus den Wildwest-Schaus des 19. Jahrhunderts entstanden. Das erklärt das zirzensische Moment der Schau-Effekte und seine komische Seite, ohne welche Ingredienzien fast kein Western glaubt auskommen zu können. Wir erfahren auch, daß es Kosaken waren, die den Cowboys die akrobatischen Künste des Reitens beibrachten, und daß ein indianischer Schießexperte den Schauspielern die Tricks des Schießens lehrte, siehe Yul Brynners Händeklatschen in den Glorreichen Sieben. Daß selbst der geschickteste Kunstschütze kaum durch die Mitte eines hochgeworfenen Fingerrings schießen kann, weiß jedermann, obwohl der Zuschauer von Winchester 72 glauben soll, daß der Held dieses Films es fertigbringt. Im Red River ringt Dunson (J. Wayne) im Fluß mit einem Indianer und fängt zugleich ein ihm zugeworfenes Messer am Griff auf — ein Kunststück seltenster Art, wenig glaubhaft im realistischen Milieu des Films.
Die komisch-zirzensische Tradition des Western hat dann aber der Italo-Western — fern aller dokumentarisch historischen Absicht, die Wirklichkeit abzubilden — noch mal ironisch aufgegriffen und bis Zum-geht-nicht-mehr kultiviert. Tatsache ist aber, daß kein Western sich heute so überlebt hat wie der Italo-Western.
IX. Der Western erzählt Geschichten, die die epische Form von Balladen haben. Ballade aber heißt ursprünglich Tanzlied, später eine Erzählung in Versform, die oft genug vertont wurde. The Ballad of Cable Hogue hat Sam Peckinpah denn auch treffend seinen persönlichsten Film genannt. Cat Ballou wurde nach dem Roman The Ballad of Cat Ballou gedreht und in dem Film treten Nat King Cole und Stubby Kaye als Sänger dieser Ballade auf. Die Vierzig Gewehre von Samuel Fuller werden von einer Ballade begleitet, die die Hauptperson verherrlicht. She wore a yellow ribbon, My darling Clementine sind Titel von Balladen, die in den nach ihnen genannten Filmen gesungen werden. Dimitri Tiomkin, ein Filmkomponist von Format, hat die diskret ansprechende Hintergrundmusik von Rio Bravo als Variation von „Deguello“ geschrieben, dem Lied, das an den Untergang von Alamo erinnert und hier als Drohung für den Sheriff gespielt wird.
Damit wird nur gesagt, daß zu einem guten Western eine Melodie gehört, die nicht nur Dekoration ist, sondern sich organisch aus dem Thema ergeben sollte. Unerträglich ist dagegen die barbarische Tonkulisse minderer Filme, die dramatische Szenen mit überlauten Dissonanzen übertönen. Man muß aber zugeben, daß in musikalischer Hinsicht der Italo-Western vielen amerikanischen Western unbestreitbar überlegen ist. Auch die Karl-May-Filme hatten meist eingängige, sinnvolle Hintergrundmusik.
Der Film Pfeile in der Dämmerung (Arrow in the dust), 1954, von Lesley Selander (1900-1979), ist meines Erachtens einer der besten Western, die je gedreht wurden, und bei jeder Wiederholung entdecke ich Einzelheiten, die ich vorher übersehen hatte. Der Film zeichnet sich durch drei Merkmale aus, die dem Ideal der Gattung recht nahe kommen: durch eine glaubwürdige Geschichte mit einem epochentypischen Thema, das zu einem Leitmotiv vieler Western geworden ist, durch die realistische Darstellung und durch die natürliche Art der Schauspieler, die vergessen läßt, daß wir es mit einem Spiel zu tun haben.
♦ Erzählt wird, wie der desertierte Kavallerie-Offizier Bart Laish (Sterling Hayden) auf seinem Ritt nach dem Westen zufällig den tödlich verwundeten Major Federal auffindet. Er übernimmt Namen und Rang des Majors, um an seiner Statt mit einer Eskorte von Soldaten einen Siedlertreck sicher durch das Indianergebiet in Oregon nach Fort Laramie zu bringen. Es gelingt ihm, mit einer geschickten Taktik die Indianer abzuwehren und den abgekämpften Soldaten der Eskorte wieder Mut und Zuversicht beizubringen. Durch Zufall wird seine falsche Identität entdeckt, doch angesichts seiner überragenden Leistung kann er mit der Nachsicht des Militärgerichts rechnen.
Das aber ist das moralische Thema der Geschichte, ob ein Übeltäter sich im Charakter ändern und seine früheren Vergehen tatkräftig wieder gutmachen kann. Es ist fast ein Standardthema des Western, z. B. in Western Union, in dem Mann aus dem Westen, Meuterei am Schlangenfluß (Bend of the river), Auf eigene Faust, worauf ich zurückkommen werde. Während es in Bend of the river eher metaphorisch, schulmeisterlich besprochen und an zwei Fällen vor Augen geführt wird, einem Banditen, der sich ändert, und einem Banditen, der sich gleich bleibt, wird die Frage in Selanders Film gemäß dem lakonischen Stil der Darstellung kurz und bündig abgetan.
Crowshaw (Keith Larsen), der Kundschafter des Trecks, erklärt: „Es ist mir egal, daß Sie nicht Major Federal sind. Hauptsache, daß Sie etwas leisten und es ehrlich meinen.“ Seine spätere Drohung wird durch den spöttischen Ton nur ein wenig gemildert: „Wenn Sie kneifen, schneide ich Ihnen die Kehle durch.“ Kristella (Coleen Gray), die Krankenpflegerin der Siedler, die zufällig mithört, daß der angebliche Major in Wirklichkeit Bart Laish ist, ein Deserteur, der sich nicht unterordnen konnte, erklärt ebenso pragmatisch wie entschieden: „Es ist unwichtig, was in Ihrer Vergangenheit gewesen ist, Hauptsache ist, daß Sie es ehrlich meinen.“ Als Laish sie später fragt, ob sie auch einen Mann nehmen würde, der weniger tugendhaft gewesen sei, antwortet sie: „Ja, einen Mann, der sein Leben einsetzt, um andere zu retten.“ Ich denke, klarer, knapper und überzeugender kann man das Problem nicht behandeln.
♦ Ich kenne wenige Western, die den Eindruck des Wirklichen so stark und so authentisch vermitteln wie Pfeile in der Dämmerung, ähnlich echt in der Wiedergabe des Äußeren ist allenfalls noch Der Mann aus dem Westen (1958) von Anthony Mann, ein film noir des Genres. Dagegen hat Mann, verglichen mit Selanders Film, in Bend of the River diesen Grad der authentischen Realität nicht erreichen können. In Pfeilen in der Dämmerung gerät ein Mann unter das Rad eines stürzenden Wagens und stirbt, welches Ereignis nur berichtet, nicht gezeigt wird. In Manns Film wird gezeigt, wie der Wagen stürzt, aber nicht der darunter liegende Mann, von dem man in der Folge annehmen muß, daß er mit ein paar Quetschungen davongekommen ist, was ganz unglaubwürdig ist. In Manns Film wird vorher genau gezeigt, wie ein unbereiftes Holzrad auf einen großen Stein auffährt und ein Viertel des Rads herausgebrochen wird — vorausgesetzt wird dabei, daß der Eisenreif verloren ging, ohne daß der Kutscher oder die nachfolgenden Fahrer es gemerkt haben, was möglich, aber wenig wahrscheinlich ist.
In beiden Filmen sind bergauf, bergab fahrende Planwagen zu sehen, in Selanders Film wird die Masse und die Schwere der wuchtigen Fahrzeuge mit den breiten Rädern nahezu hautnah gespürt. Dies liegt wohl auch an dem steinigen Gelände mit dem verstaubten Gestrüpp, wie denn fast die ganze Landschaft bei Selander in fahle, verblaßte Farben getaucht ist, während in Bend of the river die natürliche Umgebung ein kräftiges Bunt trägt.
Fritz Lang hat einmal gesagt, daß man den Eindruck der Realität im Film dadurch erweckt, daß man kleine realistische Züge zeigt. Diese Maxime hat Selander in seinem Film aus Gewohnheit sozusagen von selbst befolgt, indem er immer wieder alltägliche Gesten und Handgriffe in die Handlung einflicht. Man sieht, wie der Kundschafter, der nur mit Messer und Gewehr bewaffnet ist, die Kugeln aus seiner Hemdtasche nimmt, weil er keinen Patronengurt trägt. Laish nimmt die Kugeln aus seiner Hosentasche, und anfangs erkennt man, daß auf dem Rücken seines verstaubten Uniformhemdes die Spuren der Hosenträger abgebildet sind. Kristella umwickelt das verwundete Bein Laishs sorgfältig, reißt dann die Binde längsseits durch, festigt den Riß durch einen Knoten, führt die Bänder um das Bein, um sie ebenfalls zu knoten. Man könnte fast annehmen, Coleen Gray sei bei Bert Brecht in die Schule gegangen, dem großen Lehrmeister der gestischen Darstellung.
Die Kampfszenen der zu Fuß im Felsengelände stehenden Soldaten mit den Indianern werden durchaus unspektakulär vorgeführt, das Laden der einschüssigen Gewehre, die Pfeilschüsse der wilden Ureinwohner, die als ebenbürtige Gegner eingeschätzt und gefürchtet werden, aber konsequent nur von außen, als Gegner gesehen werden. Die einzige Kommunikation mit ihnen besteht im Kampf und in zwei Pfeilen der Dämmerung, die ins Lager der Siedler geschossen werden. Sie bedeuten „Kampf bis aufs Messer“.
Unspektakulär ist gewiß das Prädikat, das diesen Western am genauesten kennzeichnet.
Das zeigt sich in der wohl spannendsten Szene des Films, als Laish einem aufsässigen Wagenbegleiter das ihn bedrohende Messer aus der Hand schlägt, sich seitwärts dreht, um keine Zielscheibe abzugeben und den auf ihn zielenden Mann niederschießt, sich abwendet, seinen Stumpen ansteckt und unter dem schweigenden Staunen der Siedler weggeht. Dies alles ist die Tat weniger Sekunden — ein Bravourstück, das nicht als solches aufgezogen, sondern als gewöhnliche Tat dargestellt wird. In den üblichen Western hätte man es als gewaltigen Schaueffekt präsentiert, nicht so aber Selander, ein Routinier des Western, der mehrere Dutzend dieses Genres inszeniert hat, ein Handwerker, der seine Sache im Schlaf verstand, und nur ein Routinier wie er konnte einen Film mit dieser Wirklichkeitsnähe und Wirklichkeitsdichte zustande bringen.
Die Handschrift des Meisters gibt sich aber vor allem darin zu erkennen, daß der ganze Film fast nur aus Bewegung zu bestehen scheint, aus Wagenfahrt, Ritt, Ansturm, Kampf, Flucht oder Rückzug. Selten sind die Rasten und auch sie sind keine Stilleben, vielleicht mit Ausnahme der Begräbnisszene, wo Laish zunächst in der Sonne, dann im Gegenlicht halb verdunkelt mit gewohnter Entschlossenheit magna voce den Psalm vom guten Hirten aufsagt — der wohl sublimste Augenblick der Handlung.
♦ Die genuin filmische Qualität zeigt sich nicht zuletzt auch in der Wahl und dem natürlichen Spiel der Darsteller. Wohl kein anderer Schauspieler als Hayden konnte einen Gesichtsausdruck zeigen von Trotz und Verbitterung, von kurzangebundener Entschlossenheit, keinen Widerspruch duldender Autorität, ungebrochenem Selbstbewußtsein. Der sterbende Major sagt zu ihm, er sei Revolverheld, Spieler, Deserteur gewesen, er könne sich aber nicht vorstellen, daß er auch ein Schuft sei. Damit will er sagen, daß Laish es nicht ablehnen kann, in der dringendsten Not zu helfen. Er hat aber nicht bedacht, daß Laish dem Treck nur helfen kann, wenn er die Identität des Majors annimmt. Laish übernimmt dann sofort das Kommando und ermutigt die Männer vor dem Kampf mit den Worten: „Verliert nicht euren Skalp, sonst friert ihr am Kopf“.
Man sieht wohl sofort, eine derartig zwiespältig gelagerte, wilde Entschlossenheit erfordernde Rolle konnte wohl niemand überzeugender spielen als Sterling Hayden, kein blendender Hollywood-Star, aber ein kantiger, eigenwilliger, unvergeßlicher Schauspieler.
Großartig ist auch allein durch seine kräftige, vierschrötige, derbe, ältlich-erfahrene Figur der Kundschafter, dargestellt von Keith Larsen, besonders wenn man ihn mit dem glatten, sympathischen Jungengesicht des Kundschafters in Bend of the River vergleicht, dargestellt von James Stewart, von dem man noch glauben soll, daß er mal zu den Missouri-Banditen gehört hat.
Die Dritte im Bunde der Schauspieler, deren Spiel deshalb überzeugt, weil es so natürlich wie möglich ist, ist Kristella, dargestellt von Coleen Gray. Sie hatte ihren wohl bekanntesten Auftritt in Red River (1948) als junge Freundin Dunsons (J. Wayne), der sich weigert, sie auf seine Fahrt mitzunehmen, obwohl sie ihn leidenschaftlichst darum bittet. Ihre Umarmung zeigt ein lichtumflutendes Paar in der Prärie.
In den Pfeilen der Dämmerung spielt sie eine kundige, selbstbewußte, praktische Siedlerin, die sich um die Kranken kümmert und ihr Gespann selbst lenkt. Sie ist ungeschminkt, meist in schlichter Bluse, dunklem Rock, wie es die Lage erfordert. Sie verbindet menschliche Wärme, weiblichen Charme zwanglos mit zupackendem Sinn für die Forderung des Augenblicks. Dagegen sieht man in Bend of the River eine stark geschminkte Hollywood-Schönheit, die in schneeweißer Schürze um das Lagerfeuer in der nachtdunklen Wildnis hantiert — wie es unpraktischer und unwahrscheinlicher wohl kaum geht, ein krasser Fehlgriff des Films. Coleen Gray vermittelt jedoch den Eindruck, daß sie sich unbewußt immer so verhält, wie eine Frau sich auf dem beschwerlichen Abenteuer eines Wagentrecks eben verhalten muß. Es ist keine geringe Leistung, eine Leistung zu vollbringen, ohne merken zu lassen, daß es Anstrengung und große Kunst erfordert. Dies aber ist die Kunst des Films als eines realistischen Genres.
Brecht hat übrigens auch genau erkannt, daß das natürlich wirkende Auftreten der amerikanischen Filmschauspieler eine ebenso große Kunstleistung ist wie das meist expressive Spiel der deutschen Schauspieler, die fast alle vom Theater kamen.
Es gibt zwei Filmkritiken, die fast so berühmt wurden wie die Filme, denen sie gewidmet sind. Genauer gesagt, die Rezensionen haben die überragende Bedeutung jener Filme nachgewiesen und wurden dadurch selbst berühmt. Gemeint ist die exemplarische Kritik, die Graham Greene über Der Held der Prärie, (The Plainsman), 1937, von Cecil B. DeMille mit Gary Cooper als Wild Bill Hickok, verfaßt hat, und die Kritik, die André Bazin über Der Siebente ist dran, (Seven men from now), 1956, von Budd Boetticher, geschrieben hat.
Bazin hält diesen Film für einen der besten Western, weil er „nicht einen Schatten von Psychologie“ aufweise, zwar nur konventionelle Charaktere zeige, aber nach einem Drehbuch voller Überraschungen mit Humor inszenierte wurde, mit Szenen voll der interessantesten Details – was dem Sinn der filmischen Gattung natürlich genauestens entspricht. Das Drehbuch stammt übrigens von Burt Kennedy, der die Vorlagen für Boettichers schönste Western geliefert hat.
Bazin hätte noch die imposante Kameraarbeit von William Clothier erwähnen können, die herrlichen Landschaftspanoramen, die klar disponierten Szenenbilder, darunter die emblematische Aufnahme, die das Paar der unkundigen, hilfsbedürftigen, absichtslos schuldig gewordenen Wagenlenker auf dem Sitz im Vordergrund zeigt und durch die Wagenplane hindurch, eingerahmt im Hintergrund die kleine Gestalt Strides, Randolph Scott, der für mich der signifikanteste Westerndarsteller ist, — eine flüchtige, aber unvergeßliche Ansicht, die die moralische Konstellation der drei Personen andeutet.
Obwohl auch ich Seven men from now durchaus schätze, ziehe ich ihm doch Auf eigene Faust (Ride lonsome), 1959, vor, der ebenfalls von Budd Boetticher gedreht und von Burt Kennedy geschrieben wurde. Der Film ist der dichteste, konzentrierteste Western Boettichers, ein einfacher, sparsamer, gradliniger, konsequenter Film in der Ausführung und der Abbildung der Themen, die nichts anderes als zwei typische Motive des Western sind: die Rache für ein ungesühntes Verbrechen und der Zweifel, ob Banditen sich wesentlich ändern, zum Guten wandeln können, ein Thema, das auch in den Pfeilen in der Dämmerung auf der Tagesordnung steht.
Ben Brigade, ehemals Sheriff (Randolph Scott), verhaftet Billy John, der wegen Mordes gesucht wird, im Felsengebirge, um ihn nach Santa Cruz zu bringen. Billy bittet seine versteckten Mitstreiter, seinem Bruder Frank (Lee van Cleef) seine Verhaftung durch Brigade mitzuteilen, er werde wissen, was zu tun ist. Brigade und Billy reiten zur einsam gelegenen Poststation, wo sie Sam Boone (Pernell Roberts) antreffen, einen bekannten Banditen, und die junge Frau des Postmeisters, Carrie Lane (Karen Steele). Boone erklärt, daß er mit seinem Freund Wid (James Coburn) ebenfalls hinter Billy her ist, weil für Billys Gefangennahme eine Amnestie ausgeschrieben ist und er sich, mit dem Gesetz im reinen, auf eine kleine Ranch zurückziehen möchte. Ein Trupp Indianer stürmt heran, um die blonde Frau gegen ein Pferd einzutauschen, das das Pferd ihres Mannes ist. Brigade, Boone, Wid, Billy reiten zusammen mit der Frau Richtung Süden, sie werden unterwegs von den Indianern überrascht, vor denen sie sich aber in ein verlassenes Gehöft retten können. Sie erreichen schließlich den legendären Galgenbaum, an dem in früheren Zeiten die Verbrecher aufgehängt wurden. Schließlich erscheint auch Frank auf der Lichtung und wird im Kampf von Brigade getötet. Denn nur auf ihn hatte er es eigentlich abgesehen, weil Frank seinerzeit seine Frau ermordet hatte.
So klar und gradlinig wie die Geschichte des Films ist seine Inszenierung. Die Handlung spielt an vier Orten und auf den Wegstrecken zu diesen Schauplätzen. Die Szene des Films könnte aber kahler und karger nicht sein, sie ist ein leeres, menschenfeindliches Tableau. Die Bilder haben keine leuchtende, sondern nur gedeckte, ausgebleichte Farben. Von den Szenen am Galgenbaum abgesehen, spielt die Handlung an den ödesten Orten, im Felsengebirge, auf Sandhügeln, auf Hängen mit staubigem Bewuchs, im offenen, grau-beigen Gelände.
Derart wird die ganze Aufmerksamkeit auf die Personen und ihre Konflikte gelenkt, die Indianer, die die Frau erbeuten wollen, Brigade, der seinen Gefangenen ans Ziel bringen will, und Boone, der danach trachtet, den Gefangenen zu übernehmen und zwar möglichst, ohne Gewalt anzuwenden. Brigade muß einen Weg finden, Vergeltung zu üben, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen. Also lockt er Frank, wie ein Jäger ein Wild anlockt, indem er Billy als Köder auslegt und Frank zum Kampf reizt, um ihn zu töten. Brigade gelingt das Kunststück, den Mord an seiner Frau zu rächen — im Einklang mit dem moralischen und rechtlichen Kodex, zweifellos die gedankliche Pointe des Films, übrigens auch einfacher und überzeugender als der effektvolle, berühmt gewordene Endkampf der Seven men from now.
Es ist immer ein Freude, einem klar durchdachten, stimmigen, sinnvollen Drehbuch in einem Film zu begegnen — sie ist selten genug —, und das Drehbuch Burt Kennedys ist ebenso einfach wie schlüssig, zudem voller abenteuerlicher Momente im unerwarteten Augenblick. Die karge Szene unterstützt dabei auf das beste die Kunst, die einzelne Ereignisse in dem ihnen eigenen Gewicht darzustellen. Nur ein Beispiel für die Art der hier gemeinten Spannung. Als Boone bei einem Ritt den Trupp der Indianer auf dem nahen Hügel erblickt, fragt er Brigade: „Sollten wir uns nicht lieber beeilen?“ „Ja, jetzt“, antwortet Brigade und die beiden preschen zu dem alten Korral.
Damit ist angedeutet, was für den ganzen Film gilt: er lebt von dem professionellen Zusammenspiel von Randolph Scott und Pernell Roberts, wobei Roberts die klassische Rolle des zweiten Mannes spielt, der die Taten des Helden teils hervorruft, teils kommentiert. Die Ironie dieser Geschichte aber besteht darin, daß seine Beredsamkeit vor der jungen Frau scheitert, um die er vergeblich wirbt und deren Leidenschaft er gegenüber Wid so wortreich gelobt hat. So gut er auch im Gebrauch der Worte ist, er wußte doch nicht, was Amnestie bedeutet – das Schlüsselwort für seinen Start in ein neues Leben. Wid: "Amnestie, komisches Wort, es bedeutet Straffreiheit". Übrigens meint Brigade einmal zu Boone, das bekannteste Diktum des Western gebrauchend: "Du redest zuviel". Ich wundere mich, daß Pernell Roberts als Schauspieler nicht bekannter wurde, obwohl er doch eine der sympathischsten Figuren des Genres ist.
Der junge James Coburn tritt hier als ein etwas begriffsstutziger Hinterwäldler auf, der nach fünf Jahren mit Boone nicht gemerkt hat, daß dieser ihn gerne mag. Lee van Cleef gibt den jähzornigen Banditen, der nicht zusehen kann, daß sein Bruder gehängt wird, eine sachgerechte Darbietung in einem sachlich inszenierten Abenteuer mit dem immer ansehnlichen markigen Randolph Scott als menschlichem Mittelpunkt, so gradlinig und glaubwürdig wie der ganze Film.
Die Schlußszenen am Galgenbaum, die ich hier im einzelnen nicht schildern will, sind die endgültigsten Endszenen, die im Western je gezeigt wurden. "Das wär's dann", resümiert Boone.
Der Film Drei Rivalen (The tall men), 1955, von Raoul Walsch (1887-1980), ist ein großes Epos über große Träume und über bescheidene Träume. Denn das ist das beherrschende, Streit und Entzweiung verursachende Thema des Films, welche Träume ein Mensch sich leisten kann. Darauf spielt der deutsche Titel an, der ausnahmsweise mal einen gewissen Sinn hat. Er bezeichnet die Konkurrenz zwischen Stark, dem reichen zukünftigen Beherrscher von Montana, und Ben Allison, dem verarmten Texaner und Treckführer, um Nella Turner, die junge Siedlerin, die Allison vor den Indianern gerettet hat. Dazu kommt noch Clint Allison, der junge Bruder Bens, der unbeherrschte Unruhestifter in der Runde, so daß man eigentlich von vier Rivalen sprechen müßte. Die anfängliche Beziehung zwischen Ben und Nella zerbricht, als Ben von seinem bescheidenen Traum einer kleinen Ranch erzählt, die er von dem Gewinn des abenteuerlichen Unternehmens kaufen will, das ihm Stark vorgeschlagen hat. Nella aber, die die lebenslange vergebliche Schufterei auf einer Ranch kennt, will eine reiche, vornehme Frau werden. Die Rolle wird übrigens von Jane Russell meisterhaft ohne jede Starallüre gespielt.
Der englische Titel aber verweist auf die Frage des Films, was einen großen Mann ausmacht, einen Mann wie Ben Allison, der in jeder Beziehung die Szene und die Handlung beherrscht. Hier müßte man ein Lob auf die Schauspielkunst Clark Gables anstimmen. Er ist körperlich begünstigt, durch seine Statur, die mittlere Größe, die breiten Schultern, das schwarze Haar, das scharf rasierte Schnurrbärtchen, das listige Raubkatzen-Gesicht. Als Ben Allison ist er die dominierende Figur des Geschehens, der erfahrene Mann, der entschlossene Held, der die gefährlichste Situation souverän meistert, den Angriff der Indianer zurückschlägt, die Hinterlist Starks durchschaut und ihr zuvorkommt, schließlich denn auch die Gunst Nellas gewinnt, die er zweimal gerettet hat.
Nicht zuletzt zeichnet sich Ben Allison durch seine Menschlichkeit und sein gewinnendes Wesen aus, das ihm die Freundschaft und Ergebenheit des mexikanischen Luis sichert, der über dreißig Viehtreiber gebietet und mit deren Hilfe das gewagte Viehtreiben über zig-hundert Meilen durch gefährlichstes Gelände erst zum Erfolg führt. Diese Gefolgschaft eines selbständigen, aber ergebenen Mannes, der den Dienst freiwillig gewählt hat, ist eine der seltensten menschlichen Beziehungen, die je im Film dargestellt wurden. Allison erwidert das Vertrauen Luis‘ dadurch, daß er nur durch dessen Vermittlung den Treck anführt. Luis‘ Redensart im Falle geglückter Ereignisse lautet ständig: „Das ist der schönste Tag meines Lebens.“
Soweit ein paar Worte über die menschlichen Beziehungen des Films, dessen Szenerie neben wenigen Interieurs riesige Dimensionen aufweist, die tiefe Schneelandschaft zu Beginn, einen Baum mit einem Gehängten zeigend, wozu Ben bemerkt: „Hier beginnt anscheinend die menschliche Zivilisation“; dann das lange Treiben einer Herde von viertausend Rindern und hundert Pferden durch grandiose Landschaften, weiteste Ebenen in überwältigenden Panorama-Bildern, Flüsse mit schlammigen Untiefen, schroffes Felsengebirge, dann der Kampf mit den Indianern in einer engen Schlucht, das Schlachtengetümmel, gesteigert durch eine absichtlich verursachte Stampede, das Bravourstück mit dem Planwagen, der von einer Felsenwand abgeseilt wird. Hier hat Walsh denn auch seine optischen Künste ungeniert, aber doch nicht ästhetizistisch ablenkend ausgespielt mit Rindern, die auf den Zuschauer stürzen, mit von unten abgebildeten Kämpfern und Tieren. Überflüssig zu sagen, daß dieser Viehtreck und diese Stampede riesiger, wuchtiger, im Einzelnen raffinierter ausgefallen ist als das Viehtreiben in Red River oder Alvarez Kelly, was auch daran liegen mag, daß Walsh ein Meister des Western war, während Hawks vor Red River keinen Film dieses Genres gedreht hatte und dessen Eigenarten erst von John Wayne lernen mußte.
Zu der rundum stimmenden Geschichte wäre noch zu sagen, daß sie einen Einfall enthält, den man nur genial nennen kann. Als Allison anfangs Stark beraubt hat und ihn zur Stadt zurückschicken will, schlägt dieser Allison ein riskantes, aber lukratives Geschäft vor. Man fragt sich natürlich, warum Stark den Räubern diesen Vorschlag macht — offenbar, weil er erkannt hat, daß gerade sie die Sache fertigbringen könnten. Hembus zitiert einen Wortwechsel, der wiederum Allisons souveränes Selbstbewußtsein zeigt. Als Stark, von Robert Ryan dargestellt, dem der zwielichtige Charakter auf den Leib geschrieben ist, meint: „Das Schicksal ist gegen uns“, entgegnet Allison: „Dann werden wir es ändern müssen“. Leider ist der Dialog in der deutschen Fassung des Films nicht enthalten.
Stark zieht aus der Falle, in die er geraten ist, dadurch Nutzen, daß er seinen Gegnern ein Geschäft vorschlägt, eine wahrhaft amerikanische Idee, und die ebenso gewaltige wie gefährliche Anstrengung des Trecks wird nur unternommen, um einen Haufen Geld zu verdienen, was ebenfalls eine typisch amerikanische Idee ist, aber eine ehrliche Idee, dem bürgerlich-kapitalistischen Epos der Moderne durchaus angemessen, dessen Helden nicht mehr Städte und Reiche gründen, sondern Geld verdienen und durch Geld Ansehen erwerben wollen, ehrlich, aber doch auch ernüchternd. Sympathisch unamerikanisch ist dann jedoch die Bescheidenheit des wahren Helden der Geschichte, der sich, entsprechend seinem Traum, mit einem kleineren Anteil begnügt.
Der Film Rivalen unter roter Sonne (Soleil rouge), 1971, von Terence Young, erzählt eine Geschichte, die auf historischen Tatsachen beruht, jedoch ohne den Ehrgeiz, sich an die Konventionen der historischen Darstellung zu halten. Statt dessen hielt sich der Regisseur engstens an die Konventionen einer spannenden Unterhaltung, wobei der kulturelle Gegensatz aber durchaus auch eine große Rolle spielt, und nach diesen Kriterien wäre der Film denn auch zu beurteilen.
Auf der Reise nach Washington 1870 wird der japanische Botschafter Opfer eines Zugüberfalls. Dabei wird ihm das vergoldete Schwert gestohlen, ein Geschenk des Kaisers für den amerikanischen Präsidenten. Der Botschafter gibt dem Samurai Kurodo (Toshiro Mifune), eine Frist von sieben Tagen, um das Schwert zurückzubringen. Dabei ist Kurodo auf die Hilfe Links (Charles Bronson), des Bahnräubers, angewiesen, der einem Anschlag seines Komplizen Gosch (Alain Delon) knapp entgangen ist. Zunächst weigert Link sich, doch nach teils ziemlich ruppigen, teils listigen, teils komischen Auseinandersetzungen willigt er ein, dem Japaner zu helfen, und schließlich ist er es, der das Schwert fristgerecht zurückbringt.
So erzählt der Film die Geschichte, wie ein Komplize zu einem Verräter und ein Gegner zu einem Freund wird, die Geschichte einer Waffenbruderschaft, das anrührende Beispiel einer unsentimentalen, nüchternen, ehrlichen Beziehung zwischen Männern. Natürlich ist dergleichen nicht neu im Western, originell ist hier jedoch der tiefe kulturelle Gegensatz der Kontrahenten, die sich zunächst bekämpfen, um erst nach mancher List und Prüfung zusammenfinden. Dieses gefährliche Spiel ist natürlich deshalb so reizvoll, weil es von zwei überragenden Schauspielern gespielt wird: Toshiro Mifune und Charles Bronson, das großartigste männliche Paar des Western. Der Reiz wird dann noch durch ihren Gegenspieler, Alain Delon, erhöht, der die Rolle des verräterischen Komplicen im schwarzen Anzug und weißen Hemd mit beachtlichem Geschick ausführt.
Das erste Bild des Films ist ein Sinnbild. Es zeigt auf weiter Ebene Bronson zu Pferd, einen schnurrbärtigen Mann mit flatterndem schulterlangem Haar, der mit dem Pferd verwachsen zu sein scheint, einen Zentauren, einen halbwilden Mann von beängstigender Kraft, der unbestreitbare Gegensatz zu der kraftvoll kultivierten Gestalt des Samurai in gepflegten Kleidern.
Auch die letzte Aufnahme des Films ist ein Sinnbild. Sie zeigt den herannahenden Zug, dessen Dampf das Schwert des Kaisers umhüllt, das an einem Telegraphendraht baumelt. Es besagt, daß der Auftrag erledigt und die Ehre des Samurai gerettet ist, die näheren Umstände sind nicht so wichtig — das beachtlichste Understatement des Films, durchaus würdig seines lakonischen Stils.
Wie es sich für einen Film geziemt, spricht er durch Bilder, Gesten und Handlungen, und wenn es denn sein muß, durch knappe Dialoge. Von den vielen anschaulich sprechenden Szenen will ich nur die charakteristischsten erwähnen. Zunächst fällt die unglaubliche Verachtung und Nonchalance auf, mit der Kurodo den Revolver des bewußtlosen Link wegwirft — eine Geste, die das unerschütterliche Selbstbewußtsein des japanischen Ritters offenbart.
Der moralische Gegensatz zwischen der Mentalität des Samurai und der Gesinnung des Zugräubers kommt in den zwei Sätzen des folgenden Dialogs zum Ausdruck, der stattfindet, als ein kleiner Bauer von Banditen getötet wird, weil er ihnen nicht verrät, wo seine Töchter versteckt sind. Dazu bemerkt Korodo, Vertreter eines Ehrenkodexes: „Ein braver Mann!“, worauf Link erwidert: „Ein blöder Hund“.
In einer anderen Episode demonstriert Link den Vorzug seiner Waffe gegenüber dem Schwert des Samurai — die Pointe dabei ist, daß Link diesen Vorzug nicht in einem Kampf beweist, sondern in einer Rettungstat. Er durchschießt nämlich den Knoten des trockenden Lederbandes um den Hals von Christina, das die Frau (Ursula Andress) zu erwürgen droht. Ein Schwert hätte den Hals verletzt.
In diesem Tableau wird auch auf das Titelthema des Films angespielt, die Rolle der Sonne im Film, die nicht nur als Metapher gedacht ist, sondern hier auch als reale, tödliche Kraft agiert. Sie scheint in einer blendenden Aufnahme auf die von Indianern gefesselte Frau und trocknet das sich zusammenziehende Lederband. Dem steht die Idylle des abends auf einem Hang sitzenden Samurai gegenüber, während der Horizont blutrot von der untergehenden Sonne erleuchtet ist, ein nur Sekunden währender Anblick, aber wiederum von sinnbildlicher Qualität.
Die subtile Lakonie des Films kommt auch in dem folgenden einsilbigen Dialog zum Ausdruck, als die beiden Fußreisende eine kleine Farm entdecken. „Wunderbar!“, sagt Link. „Wunderbar?“ „Die Pferde!“ „Ach so, ja“. Auch fehlt es nicht an den kleinen Gesten, die überflüssig erscheinen, aber doch die Realität des Geschehens unterstreichen. So etwa, wenn Kurodo mitten im Kampf mit den Indianern das Schwert des Kaisers an sich nimmt und es mit einer Verbeugung ehrt, bevor er es auf seinen Rücken schnallt. Oder die von alter Gewohnheit zeugende Handbewegung Links, der von einem erschossenen Kumpan einen Revolver an sich nimmt und mit der Hand über die Waffe streicht, bevor er mit ihr schießt.
Inmitten dieser Kampfaktionen bietet Christina natürlich den erfreulichsten Anblick, von Ursula Andress bravourös gespielt, da sie nicht nur ihre anziehende Weiblichkeit ins Spiel bringt, sondern auch eine überaus schwierige Rolle glänzend meistert, die Rolle der ehemaligen Dirne, die nun mit Gosch verbunden ist und ihm unter allen Umständen die Treue hält. Dies ist denn auch der einzige, aber doch achtenswerte Zug, der den skrupellosen, geldgierigen Gosch auszeichnet, seine Sorge um Christina und seine Verbundenheit mit ihr.
Frauen im Western — das ist ein schwieriges, leidiges, nicht immer erfreuliches Thema, an dem selbst namhafte Regisseure gescheitert sind und das noch zu besprechen wäre. Ursula Andress aber hat wohl in diesem Milieu unbestreitbar eine der besten Leistungen gezeigt. Bei ihrer Rolle, die dem Part Claudia Cardinales in Spiel mir das Lied vom Tod durchaus gleicht, geht es übrigens um ein ähnliches Thema wie bei der Frage, ob Banditen sich wesentlich ändern können. Das Motiv wird schon in Stagecoach ausführlich besprochen und es bildet in Rivalen ohne Gnade, 1956, von Rudolph Maté, den peinlichen Grund eines unschönen Streits.
Oben habe ich zwei kluge Filmkritiken erwähnt, hier kann ich nicht umhin, eine besonders dumme Filmkritik zu zitieren. Ein Monograph Howard Hawks' schreibt: „Würde man mich auffordern, einen Film zu nennen, der die Existenz Hollywoods rechtfertigt, dann wäre das für mich wahrscheinlich Rio Bravo". Schaut man sich aber Rio Bravo mit wachem Bewußtsein genau an, dann entdeckt man in dem vielgelobten Western einige Fehler, die er nicht haben dürfte.
Da ist zunächst der Grundeinfall, daß der Hilfssheriff Dude zum Trinker wird, weil ein Flittchen ihn sitzen ließ — eine Sache, die sozusagen doppelt unglaubwürdig ist. Erstens ist schwer zu glauben, daß ein Mann wie Dude sich wie ein Halbstarker blind in eine Frau verliebt, ohne zu erkennen, was für eine Frau sie ist, und dann kann man sich kaum vorstellen, daß er über dieser Enttäuschung zum Säufer wird — eine echt puritanische Ansicht, die denn auch nur für Puritaner glaubhaft ist. Zu allem Überfluß kommt dieses Initialmotiv nicht nur hier, sondern auch in El Dorado vor! Daß aber ein Kerl wie Robert Mitchum aus Liebeskummer zum Trinker wird, ist eine absurde Vorstellung, selbst für das Hirn eines Puritaners. Hawks mag seine Meriten gehabt haben, ein Menschenkenner war er aber nicht.
Zweitens, Miß Francis, unbestritten von der ansehnlichen Angie Dickenson in Rio Bravo reizend dargestellt, ist von Beruf Spielerin, hat aber nicht gemerkt, daß ihr Mann Falschspieler war, und sie sieht auch nicht, daß der Mann mit der karierten Weste falsch spielt — dies fällt erst Colorado auf, von Ricky Nelson ganz passabel dargestellt.
Bei der Ankunft der Transportwagen stellt Weeler (Ward Bond), der Treckführer, seinen Begleiter mit dem Namen Colorado (Ricky Nelson) vor. Bei dem späteren Treffen im Hotel sagt Weeler zum Sheriff: „Sie nennen ihn Colorado“ — als hätte der Sheriff den Namen erfunden.
Nachdem Dude sich rasiert hat und in sauberer Kleidung zum Gefängnis geht und aus Versehen beschossen wird, sagt Stumpie (W. Brennan), Dude habe gebadet. Tatsächlich badet er erst später und zwar auf ausdrücklichen Wunsch von Stumpie.
Als Dude in der Wirtschaft den gesuchten Mörder, der über ihm auf der dunklen Galerie lehnt, erschießt, hätte der Sheriff, der Dude gegenüber am andere Ende des Raumes steht, den Mann auf der Galerie sehen müssen.
Als der Sheriff als Geisel ins Gefängnis kommt und zu Stumpie sagt, er solle aufschließen, sagt dieser, der Schlüssel liege im Schreibtisch, der vor dem abgeschlossenen Gitter steht — was verdächtig ist, da Stumpie also mit dem Gefangenen eingeschlossen ist! Diese Ungereimtheit hätte den Kerlen, die den Sheriff in ihrer Gewalt hatten, auffallen müssen.
Beim Schlußkampf, wo der Sheriff und Stumpie bei den Transportwagen stehen und Dude sich auf der anderen Seite befindet, ruft der Sheriff Dude völlig sinnlos zu: „Komm rüber“, wobei Dude das Schußfeld hätte durchqueren müssen.
Hawks hat den Film, wie er angibt, auch aus Protest gegen High Noon gedreht, wo der Sheriff vergebens Männer auffordert, ihm zu helfen. Aber in Rio Bravo lehnt auch Colorado zunächst den Posten als Hilfssheriff ab, als er danach gefragt wird. Übrigens hätte John Wayne niemals die Rolle spielen können, die Gary Cooper in High Noon spielt.
Hawks' Aversion gegen High Noon, einen Klassiker des Western, und Fred Zinnemann, einen überragenden Meister seines Fachs, ist der Neid und die Mißgunst eines Amerikaners gegenüber einem ausländischen Regisseur, der sich an einem Western vergriffen hat, dem ureigenen Filmgenre der Amerikaner.
Wie in allen Western wird auch hier der Ort mit den Ausmaßen eines kümmerliche Weilers „Stadt“ genannt, offensichtlich eine falsche Übersetzung von „town“ — damit dürfte wohl eher nur eine Gemeinde oder eine Ansiedlung gemeint sein.
Die offensichtlichen Vorzüge des Films brauchen hier nicht weiter beschrieben zu werden: die Musik von Dimitri Tiomkin, die ich oben schon lobend erwähnt habe. Daß die Sänger Nelson und Dean Martin ihre Lieder singen, nimmt man in Kauf. Übrigens heißt das Hotel, nach dem Gefängnis der zweite Schauplatz der Handlung, Alamo, woran denn auch das Lied "Deguella" erinnert, das als Drohung für den Sheriff gespielt wird.
Vorzüglich ist auch die Kameraführung, die für Hawks typisch ist: daß nur Bilder in menschlicher Augenhöhe gezeigt werden. Blicke von oben kommen nur vor, wenn sie sich aus der realen Konstellation der Figuren von selbst ergeben: Die Aufnahme einer Szene vom erhöhten Standpunkt eines Reiters auf einem Pferd, der Blick des Mörders von der Galerie auf die Menschen in der Wirtschaft.
El Dorado ist, abgesehen von der falsch begründeten Trunksucht Mitchums, auch noch durch einen kleinen, aber doch nicht belanglosen Fehler belastet, der ebenfalls wohl aus dem Drehbuch stammt. Thornton, der von dem Sohn Mcdonalds beschossen wird, versucht den jungen Mann umzudrehen, wobei er ihn an der rechten Seite anfaßt. Dann aber behauptet er gegenüber dem Vater, er habe nicht gesehen, daß sein Sohn noch einen Revolver hatte — er hätte ihn aber sehen müssen.
Über Rio Lobo, das Alterswerk von Hawks, will ich nur aus einer Biographie John Waynes zitieren: „Der Film enthält einige der schlimmsten Dialoge, die man je in einem Wayne-Film gehört hat, und die Hauptdarstellerin Jennifer O‘Neill ist so schrecklich, daß das Publikum das Ende ihrer Szenen hörbar herbeisehnte“. Von ausgesuchter Albernheit ist übrigens auch der Schlußdialog in Rio Bravo, wo Miß Francis vergebens auf eine Liebeserklärung von Chance wartet. — Damit ist auch wiederum ein Punkt genannt, der in das prekärste Kapitel des Western gehört: der Auftritt der Frauen in diesem Genre.
Man muß sich schon die Commancheros, 1962, von Michael Curtiz, anschauen, um einen Western zu finden, in dem das Verhältnis von Mann und Frau ohne Heuchelei beim Namen genannt wird. Es sei meistens nur eine Sache des Begehrens, heißt es hier nüchtern. Freilich war Curtiz Ausländer, aber doch fähig, einen ebenso spannenden wie geistreichen Western zu drehen — zusammen mit Cliff Lyons, der die gewagten Kampfhandlungen inszeniert, und William Clothier, der die brillanten Aufnahmen gemacht hat, darunter Porträts, die an Gemälde von Anselm Feuerbach erinnern, ein absolutes Novum im Western, eine ästhetische Seltenheit, die aber durchaus im Einklang mit dem Sinn des intelligenten Drehbuchs von James Edward Grant steht. Wenn man noch die Schauspieler, John Wayhne, Stuart Whitman, Ina Balin, und die sparsam, aber harmonisch eingesetzte Musik Elmar Bernsteins hinzunimmt, sieht man an diesem Beispiel, wieviele Essentials zusammenkommen müssen, damit ein guter Film entsteht.
Zu Stagecoach: John Ford soll auf die Frage, warum denn die Indianer nicht auf die Pferde geschossen hätten, natürlich im Scherz geantwortet haben: „Sonst wäre der Film gleich aus gewesen“. Tatsächlich haben sie deshalb die Pferde verschont, weil sie sie offensichtlich haben wollten. So nach der Logik der Handlung; denn in der vorhergehenden Szene werden die Ersatzpferde aus der Poststation weggetrieben. In Auf eigene Faust kommt eine Postkutsche mit getötetem Kutscher und Passagier an, dazu der Kommentar Ben Brigades: „Die Indianer hatten es vielleicht auf die Pferde abgesehen“.
John Ford hat den Schauplatz von The Searchers (1956) nach rein ästhetischen Gesichtspunkten gewählt, indem er zwei Farmen im grandiosen Monument Valley, einer ausgedörrten Halbwüste, ansiedelte, wo kein Mensch Rinder züchten könnte. Tatsächlich sind in dem langen Film auch nur in einer sekundenlangen Szene Pferde bei der Tränke zu sehen, sonst nur ein paar tote Rinder.
Auch andere Western spielen in Ebenen mit dürrem Gras und staubigen Sträuchern und man fragt sich, wie es denn möglich ist, in dieser Landschaft fünfzigtausend Rinder zu füttern — wie etwa im Weiten Land, 1958, von William Wyler. Hier wird immerhin das Problem des knappen und deshalb umkämpften Wassers behandelt.
Eines der leidigsten Themen des Western ist die Konvention, daß fast kein Film ohne Prügelei auskommt, die ein amerikanisches Volksvergnügen zu sein scheint. In den meisten Fällen sind es überflüssige Spektakel, allenfalls bemerkenswert unter inszenatorischen und kameratechnischen, also rein ästhetischen Gesichtspunkten, sonst aber ein infantiler Brauch ohne jeden Sinn und Verstand.
Doch muß man einräumen, daß es auch Schlägereien gibt, die vernünftig begründet sind und sich schlüssig aus der Handlung ergeben. So die Schlägerei in Shane — „Sie wollen Shane totschlagen“ —, die Abrechnung im Mann aus dem Westen, die Link einem Banditen verpaßt, der die Frau zum Striptease gezwungen hat; der unausweichliche Faustkampf in Johnny Guitar. Unumgänglich ist auch die äußerst gewalttätige Prügelei zwischen dem Sheriff (Randolph Scott) und dem blindwütigen bulligen Riesen, der sonst nicht zur Vernunft zu bringen ist — in Ein Kerl wie der Teufel, 1955, von Joseph H. Lewis.
In diesem exemplarischen Western fallen auch eine Unstimmigkeit und ein rarer sublimer Moment auf. Fragwürdig ist, daß Cody, der Wirt, einen mexikanischen Diener erschießt, der vorher ein Messer auf den Sheriff geworfen, ihn aber verfehlt hat. Der Sheriff nimmt die Aussage Codys über die Erschießung des Mexikaners ohne weiteres hin, obwohl Cody keinen Grund dafür hatte.
Ganz ungewöhnlich ist aber der gedämpfte Ton und die intime Stimmung der folgenden Sequenz. F.D. Dean, mächtiger Mann des Ortes, wird von seinem Gegner gewarnt, in die Stadt zu kommen. Seine Frau will ihn verlassen, weil sie sich mit jenem Gegner eingelassen hatte. Er lehnt es ab, geht die Treppe hoch und sagt zu ihr: „Lösch die Lichter aus, ich bin sehr müde“. Ein sublimer, einzigartiger Moment in einem Western.
Die Indianerfilme bilden wohl die problematischste, historisch unzuverlässigste Sparte des Western. Die Indianer machen darin oft eine komische, meist eine unglaubwürdige Figur, und ich käme an kein Ende, wenn ich auch nur die mir bekannten falschen, unechten und läppischen Bilder der Indianer aufzählen würde. Deshalb hier nur zwei Bemerkungen. Die indianische Kriegslist kommt wohl am schönsten im Verrat im Fort Bravo, 1953, von John Sturges, zum Ausdruck. Hier nageln die Indianer eine Handvoll Weißer in einer Mulde fest — und zwar mittels eines Pfeilregens, den sie vom Berg aus als Artillerie einsetzen.
Der einzige überzeugende weiße Indianer-Darsteller ist Charles Bronson, als Der einsame Adler, 1954, von Delmer Davis, und als Chato. Daß man später oft Indianer die Rolle ihrer Stammesgenossen spielen ließ, hatte den nicht zu korrigierenden Nachteil, daß es meist Laien waren und sie deshalb fast zwangsläufig einen unbeholfenen Eindruck machten — was die Sache nicht weniger diskreditierte. Zur historischen Situation des Problems muß man wissen, daß die Indianer erst im 20. Jahrhundert Staatsbürgerrechte erhielten. Dies mag die Feindschaft der Weißen im 19. Jahrhundert erklären, nicht aber das falsche Klischee im Durchschnittswestern.
Von Bronsons Darbietung abgesehen, ist Chatos Land, 1971, von Michael Winner, aber kein Vergnügen. Neben modischen Sadismen sind einige der widerlichsten und beschränktesten Figuren zu sehen, die je einen Western bevölkert haben. Winner führt über eine Stunde die Blödheit der Weißen vor, wo fünf Minuten übergenug gewesen wären.
Das geistige Niveau der Western ist oft niedriger, als es unter den gegebenen Umständen sein müßte. Der Analphabetismus der Cowboys und Siedler ist ein Standardelement der Komik vieler Filme, wobei suggeriert wird, daß dieses Manko mit Dummheit gleichzusetzen sei — was natürlich nicht stimmt. Natty Bumpo, der Lederstrumpf, kann weder lesen noch schreiben und doch ist er der klügste Mensch in den fünf Bänden der nach ihm benannten Saga von James Fenimore Cooper. Cooper hat übrigens ein historisch getreues Bild der Indianer überliefert.
Die in Chatos Land und anderswo vorgeführte Dummheit der Figuren ist letztlich aber nur die Dummheit der Regisseure und Drehbuchautoren. In Bend of the River kann ein Mann nicht glauben, daß aus einem Wurzelballen ein Baum entsteht — und dies in einer durch und durch ländlichen Umgebung. Unverzeihlich ist auch der Fehler im Weiten Land, wo ein handgreiflicher Konflikt daraus entsteht, daß die Leute der Ranch nicht glauben können, daß ein ehemaliger Seemann sich in der weiten Prärie nicht verirrt hat, sondern immer wußte, wo er sich befand. Sie kommen nicht auf die Idee, daß ein Mann, der sich auf dem Meer orientieren kann, es auch auf dem Land können muß. Diese elementare Unbildung, die hier den Cowboys und ihren Bossen unterstellt wird, ist eine unerträgliche Zumutung für den Zuschauer, ein unverzeihlicher Faux-pas des Drehbuchs.
Die Fehler und Grenzen des Western sind ein weites Feld, das ich nur in Stichproben beschreiben konnte. Wer aber die spezifische Differenz zwischen den Sieben Samurai, 1954, von Akira Kurosawa, und den Glorreichen Sieben, 1960, von John Sturges, einer Variation der japanischen Vorlage, genau bestimmen würde, hätte damit auch das Wesen und die Grenze des Western bestimmt.
Die Sieben Samurai sind ein hochgradig stilisierter und zugleich ungewöhnlich expressiver Film, der seiner Gesellschaftskritik, der Not der ausgeraubten Bauern, den krassesten Ausdruck gibt: „Hört denn dieses Elend niemals auf?“. Die Glorreichen Sieben haben das Thema gewechselt, sie handeln weniger von den Sorgen der Bauern als von den Sorgen der Revolverhelden, deren Ansehen und Glanz zum Schluß ungewöhnlich klar desillusioniert werden und dies trotz aller Schaueffekte und Kunststücke, die gemäß dem Diktat der Unterhaltung, dem der Film verpflichtet ist, gefällig und gekonnt vorgeführt werden. Mit den Sorgen der desillusionierten Revolverhelden sind natürlich auch die Sorgen des Western gemeint, der mit ihnen auch seinen Reiz verliert. So sind die Glorreichen Sieben, fraglos eine Spitzenleistung des Genres, entgegen ihrem Namen im Grunde ein resignativer Abschied vom Western.
Wie dem aber sei, es ist nicht zu leugnen, daß der japanische Film einfach eine höhere Klasse repräsentiert als die amerikanische Nachahmung. Jener Film hat die bessere Geschichte, den besseren Regisseur und die besseren Schauspieler. Am augenfälligsten wird diese Differenz, wenn man das extrem dynamische, zugleich witzige als auch tragische Spiel des jungen Toshiro Mifune betrachtet, der, ein explosives Energiebündel, kein Pendant im Western hat; das gleiche gilt für Takashi Shimura, der mit unerschütterlicher Geistesgegenwart und natürlicher Autorität die Szene unangefochten beherrscht — ihm gegenüber ist Yul Brynner allenfalls ein harmloser Sportsfreund. Es gab damals einfach keine amerikanischen Schauspieler, die jenen Japanern ebenbürtig gewesen wären, und es ist fraglich, ob sie es jemals gegeben hat. Vielleicht hätte Clark Gable in seinen besten Jahren die Rolle Shimuras spielen können.
Dieser Western ist ein schlagender Beweis dafür, was in den Grenzen des Unterhaltungsfilms an menschlichen Problemen zu zeigen möglich ist. In diesem Genre ist es nur in glücklichen Ausnahmefällen möglich, den Ernst menschlicher Angelegenheit so glaubhaft darzustellen, wie es die Sache verdient. Denn das Genre kann nun mal, immer das zahlende Publikum vor Augen, seinen wesentlich verharmlosenden Spielcharakter nur selten verleugnen.
Die Zeit des Western ist lange vorbei. Geblieben ist aber eine Lehre und eine Frage. Fast alle guten Filme dieses Genres spielen in der freien Natur, in den variationsreichen Landschaften Nordamerikas. Aber, ein reiner Landschaftsfilm, wenn er auch die reizvollste Gegend zeigt, wird bald langweilig. Eine Landschaft wird erst durch eine spannende Geschichte interessant und umgekehrt — eine an sich schwache Geschichte wird durch eine schöne Landschaft interessant.
Die Frage aber lautet: Warum gibt es heute keine Filmstars mehr, die man mit Gary Cooper, Clark Gable, John Wayne, Maureen O'Hara, Angie Dickenson und all den anderen Stars jener Zeit vergleichen könnte, hochbegabte Schauspieler, die gewiß keine Reklameprodukte waren?