Josef Quack

Das Sextum in kirchlicher Sicht




Dem Opfer an die Aphrodite folgt unmittelbare Absolution.

Fr. Schiller

Ein Besoffener stand in Prag auf der Straße und wußte nicht, wo er war. Er fragte einen Mann: Wo sind wir?
Der Mann: Auf dem Wenzelsplatz.
Der Besoffene: Bitte, keine Einzelheiten. Kontinent! Kontinent!

N.N.

Unter vernünftigen Menschen dürfte der folgende Grundsatz unumstritten sein: Sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen, sofern diese Beziehungen auf Freiwilligkeit beruhen und dezent ausgeführt werden, gehen niemand anderes etwas an, weder den Staat, in Gestalt des Staatsanwalts, der Polizei, irgendwelcher Amtspersonen, noch die Öffentlichkeit, in Form der Klatschpresse oder schnüffelnder Nachbarn.

Wie man weiß, ist es erst ein paar Jahrzehnte her, daß dieses Prinzip bei uns allgemein respektiert wird und in die Gesetzgebung Eingang gefunden hat. Noch in den sechziger oder siebziger Jahren mußte ein Hamburger Bürgermeister zurücktreten, weil er eine außereheliche Affäre hatte, und ein derartiger Verdacht spielte auch bei Brandts Abdankung als Kanzler eine Rolle. Dagegen ist jenes Prinzip in den USA bis heute nicht anerkannt, vielmehr unterliegt das Intimleben der Politiker immer noch, wie in den puritanischen Anfängen des Staates, der öffentlichen Zensur.

Christliche Moral

Ich habe an jenen Grundsatz des zu respektierenden Intimlebens erinnert, weil er den ethischen oder weltanschaulichen Horizont unserer säkularen Gesellschaft bildet, in dem die kirchliche Sexuallehre betrachtet und beurteilt werden muß, insofern sie sich an mündige Menschen wendet, denen sie in diesem Punkt Vorschriften machen zu können beansprucht. Und dazu muß man schlicht feststellen, daß sie die Sexualität und das dem gewidmete sechste Gebot viel zu wichtig nahm, so daß die christliche Moral weitgehend gleichbedeutend war mit Sexualmoral. Daraus ergab sich, daß die detaillierten Beschreibungen sexueller Dinge und die kasuistische Prüfung aller möglichen Sünden in den alten Handbüchern der Moraltheologie meist reine Pornographie waren, von der gar nicht so seltenen Lüsternheit der Beichtväter einmal ganz abgesehen.

Rahner/Vorgrimler sprechen von „pastoraler Indiskretion“ und „pathologischer Neugier“ (Kleines Konzilskompendium 1972, 436). In der Tat kann man die Fixierung jener Hüter der Moral auf den Sex nur als krankhaft bezeichnen, und diese Neurotiker maßten sich an, das Intimleben ihrer Mitmenschen zu beurteilen! Nicht der geringste Skandal in der skandalreichen Geschichte der Kirche.

Diese Einstellung amtskirchlicher Vertreter hat sich seit dem Konzil gewiß in manchem zu einer menschlichen Sicht verändert, jedoch kann man nicht verschweigen, daß auch die neuere, nicht mehr ausschließlich biologistische Auffassung der Sexualität ihre Bedeutung im menschlichen Leben auch wiederum maßlos überbewertet. Man ersieht daraus unschwer, daß diese Doktrin von weltfremden, unkundigen Zölibatären aufgestellt wurde, die das ihnen Versagte und Verbotene gewaltig überschätzen. Ihnen fehlt schlicht der Sinn für das alltägliche Verhalten der Menschen, ihre unausweichlichen Gewohnheiten und Konventionen, und sie sind unfähig, aus der überwältigenden Menge der Literatur zu lernen, die seit bürgerlichen Zeiten der Ehe gewidmet wurde.

"Humanae vitae"

Die tiefe Kluft, die die kirchliche Sexuallehre von der säkularen Auffassung dieser Dinge trennt, zeigte sich in der nahezu vollständigen außer- und innerkirchlichen Ablehnung der Enzyklika „Humanae vitae“ (1968, dt. "von dem menschlichen Leben"), die das naturgegebene Ziel der Ehe in der Fortpflanzung sah und jede künstliche Empfängnisverhütung verbot. Interessant ist, daß die Kommission, die dieses Schreiben vorbereitet hatte, ursprünglich eine liberale Auffassung in diesen Fragen vertrat, also für die Zulassung der künstlichen Empfängnisverhütung votierte. Jedoch hat Paul VI., gestützt auf eine Minderheit, zu der auch Karol Woytila gehörte, gegen die Mehrheit seiner Berater die jetzige Form der Enzyklika durchgesetzt und offiziell verkündet.

"Humanae vitae" war wohl einer der verhängnisvollsten Fehler der Kirche in neuerer Zeit, das päpstliche Rundschreiben beendete abrupt die vom Konzil (1962-65) gespeiste Hochstimmung innerhalb des Christentums und es verspielte mit einem Schlag das Ansehen, das der Katholizismus weltweit gewonnen hatte. Die Öffnung der Kirche zur "Welt", die in wichtigen Dokumenten des Konzils verkündet worden war, erschien mit einem Mal als völlig unglaubwürdig, und was fast noch ärger ist, man hat nichts daraus gelernt, sondern den sachlichen Kern der Enzyklika mit dem Verbot der nicht-natürlichen Empfängnisverhütung in den neuen Katechismus der katholischen Kirche (Nr. 2370) unverändert übernommen. Andernorts habe ich übrigens diesen Katechismus (1997, dt.2003) ausführlich besprochen (cf. J.Q., Zur christlichen Literatur im 20. Jahrhundert, S.98ff.)

Zu jenem Vorgehen Roms bemerkte Karl Rahner, im Ton verbindlich, in der Sache scharf kritisierend, daß das autoritative Verhalten des Papstes nicht ganz den Erwartungen entsprach, die man seit dem II. Vatikanum von kirchenamtlichen Entscheidungen haben konnte. Er meint, daß der Papst seine Vollmacht überbetont und die vom Konzil anerkannte Autorität der Gemeinschaft der Bischöfe mißachtet habe (Bekenntnisse 1984, 34f.). Und Hans Urs von Balthasar machte darauf aufmerksam, daß Enzykliken an sich nicht unfehlbar seien und „Humanae vitae“ „ungewollt am Zusammenbruch der kirchlichen Beichtpraxis mitbeteiligt war“ (Prüfet alles, das Gute behaltet 1986, 58).

Der liberale Moraltheologe Bernhard Häring meinte, Paul VI. hätte die Frage der Empfängnisverhütung ruhig offen lassen können. Er verurteilt selbstverständlich „die tragische Entscheidung“ des Papstes, hält ihm aber überraschenderweise zugute, daß er „ein schönes Zeugnis der Toleranz“ gegeben habe, „in der Ehrfurcht vor dem Gewissen der Gläubigen“ (Meine Hoffnung für die Kirche 1997, 120). Was nichts anderes heißen soll, als daß die Gläubigen sich zu Recht gegen die Verbote der Enzyklika entschieden hätten, der Papst dies aber respektiert habe. Damit hat Häring wohl nur die halbe Wahrheit gesagt, nämlich die Ablehnung der Gläubigen — von päpstlicher Toleranz in dieser Frage konnte keine Rede sein. Auch ist natürlich kaum zu akzeptieren, daß eine so wichtige Frage des menschlichen Verhaltens hätte offen bleiben können.

Zu dem Problem, inwiefern päpstliche Verlautbarungen verpflichtend sind, haben Rahner und Vorgrimler in der ihnen eigentümlichen umständlichen Art der Rede geschrieben: „Die Feststellung ist angebracht, daß es sich bei solchen kirchlichen Normen zur Geburtenregelung — sofern diese nicht gegen die Menschenwürde und gegen ein gezeugtes Leben verstößt — nicht um Dogmen, sondern um authentische Weisungen handelt, die vom Gläubigen mit Respekt und innerer, aber nicht unwiderruflicher Zustimmung angenommen werden müssen.“ (l.c. 436) D.h. man ist nicht verpflichtet, solche Normen zu befolgen, wenn sie nicht überzeugend begründet sind.

Klerikalismus

Joseph Kardinal Ratzinger wurde von Peter Seewald zum Verbot der Empfängnisverhütung entgegengehalten, daß man Eltern, die schon Kinder haben und nun Verhütungsmittel verwenden, nicht vorwerfen könne, sie hätten keine positive Einstellung zu Kindern. Darauf antwortete Ratzinger: „Ich würde sagen, das sind Fragen, die mit dem Seelenführer, dem Priester besprochen werden sollten, die man nicht ins Abstrakte projizieren kann.“ (Salz der Erde 1997, 217) Es ist nicht ganz klar, ob er damit einräumen wollte, daß im Einzelfall der Gebrauch künstlicher Empfängnisverhütung durchaus erlaubt sein könnte. Klar ist nur, daß er die Entscheidung dem Beichtvater überläßt.

Die gleiche Einstellung findet man auch in dem päpstlichen Schreiben von Franziskus „Amoris laetitia“ (2016). Hier wurde der Zugang der geschiedenen und wieder verheirateten Paare zu den Sakramenten nicht durch eine allgemeine Vorschrift geregelt, sondern letztlich der Entscheidung des Seelsorgers vor Ort überlassen (cf. J.Q., Zur Krise der Kirche).

In diesem Punkt trifft sich übrigens der immer milde sich gebende, großherzig denkende, bisweilen undeutlich redende Moralgelehrte Häring mit den kirchlichen Amtspersonen. Auch er plädiert dafür, daß wesentliche Entscheidungen in der Ehe- und Sexualmoral dem Urteil des allerdings nachsichtig sein sollenden Beichtvaters zu überlassen seien.

In allen drei Fällen wird aber die moralische Machtposition des Beichtvaters gestärkt und damit der unselige Geist des Klerikalismus neuerdings wieder gefördert. Dies aber ist ein unerträglicher Affront gegen die mündigen Christen, die in ethischen Fragen selbst entscheiden können müssen, und deshalb sollten solche Fragen durch klare Vorschriften geregelt und nicht dem Gutdünken eines Seelenführers anheimgestellt sein. Davon abgesehen, ist die Idee eines Seelenführers mit der Selbstbestimmung des Menschen durchaus unvereinbar.

Personale Sicht

Ratzinger war mit der Grundthese von „Humanae vitae“, daß die Sexualität von Natur aus mit der Fortpflanzung verbunden und deshalb die künstliche Empfängnisverhütung zu verwerfen sei, durchaus einverstanden, jedoch nicht mit der Begründung: „Es war schon klar, daß hier wesentlich Gültiges gesagt wird, aber die Argumentationsweise war für uns damals, auch für mich nicht befriedigend. Ich hielt Ausschau nach einer umfassenderen anthropologischen Sicht. In der Tat hat Papst Johannes Paul II. dann die naturrechtliche Sicht der Enzyklika durch eine personalistische Vision ergänzt.“ (Letzte Gespräche 2016, 183)

Die personalistische Argumentation in dieser Sache lautet etwa, daß die eheliche Liebe als „Hingabe in personaler Ganzheit“ verstanden oder bestimmt wird. Daraus wird nun das Verbot der Empfängnisverhütung abgleitet: „Während die geschlechtliche Vereinigung ihrer ganzen Natur nach ein vorbehaltloses gegenseitiges Sich-Schenken der Gatten zum Ausdruck bringt, wird sie durch die Empfängnisverhütung zu einer objektiv widersprüchlichen Gebärde, zu einem Sich-nicht-ganz-Schenken.“ So das Apostolische Mahnschreiben „Familiaris consortio“ (1981), das im Katechismus der katholischen Kirche (Nr.2370) zitiert wird. Das Zitat scheint die triviale Deutung nahezulegen, als würde zum Beispiel ein Präservativ die personale Hingabe verhindern. Diese Vorstellung ist einfach zu lächerlich, als daß man sie ernstnehmen könnte.

Grundsätzlich ist zu der personalistichen Argumentation zu sagen, daß sie das sexuelle Verhalten des Menschen in existentieller oder anthropologischer Hinsicht in einer Weise überbewertet, die der conditio humana nicht gerecht wird. Es wird dabei angenommen oder gefordert, daß jede geschlechtliche Handlung ein radikal existentieller Akt sein müsse, ein Ausdruck der Eigentlichkeit des menschlichen Daseins. Dabei wird übersehen, daß es, wie Heidegger aufgezeigt hat, daneben nicht nur eine uneigentliche Seinsweise, sondern auch eine indifferente Seinsweise des Menschen gibt. Dies trifft natürlich auch auf das sexuelle Verhalten zu, das wie jedes menschliche Erleben den Gesetzen der Gewohnheit und der wechselnden Intensität unterworfen ist und wohl nur in den seltensten Fällen dem unvernünftig übersteigerten Ideal jenes Mahnschreibens entsprechen dürfte. Oder um es, zugegeben etwas respektlos, mit den Worten eines galanten Romans zu sagen: „In der Ehe ist der Geschlechtstrieb nicht besonders munter“.

Die überhöhte Bewertung der Sexualität ist übrigens kein Monopol kirchlicher Vertreter. So hat der Philosoph Günther Patzig allen Ernstes behauptet, die sexuelle Beziehung sei „die persönlichste Begegnung unter Menschen“, was natürlich ein grotesker Irrtum ist, der aller geistigen Kommunikation, jedem seelischen Einverständnis, jeder intellektuellen Übereinstimmung, hohn spricht. Allerdings zieht er aus der personalen Deutung der menschlichen Sexualität eine Folgerung, die der kirchlichen Ansicht diametral widerspricht. Er behauptet nämlich, „jede Zweckbindung, und sei es die an den Fortbestand der Gattung,“ sei dieser Begegnung fremd und unangemessen (Ethik ohne Metaphysik 1971, 95f.). Damit dürfte jedenfalls erwiesen sein, daß die personale Beschreibung der menschlichen Sexualität mehrere Deutungen und unterschiedliche Folgerungen zuläßt.

Um das rein rechtliche Verständnis der Ehe zu korrigieren, das übrigens in der Geschichte der Erbmonarchien eine entscheidende Rolle gespielt hat, definiert man seit dem Konzil das Wesen der Ehe nicht mehr als Vertrag, sondern als ein Bund, der „durch ein unwiderrufliches personales Einverständnis gestiftet“ ist (Gaudium et spes Nr. 48). Aus dieser Definition glaubt Häring, das Moment der Unwiderruflichkeit allerdings ignorierend, folgern zu können: „Ist die Ehe radikal als Lebensbund und Heils-Sakrament anzusehen, dann kann ein Verharren im Ehebund nicht gefordert werden, sobald eindeutig klar ist, daß eine konkrete Ehe nicht nur nicht dem Heil und heilen menschlichen Beziehungen dient, sondern gerade zerstörerisch wäre.“ (Meine Hoffnung für die Kirche 1997, 62) Die Unklarheit dieser Sätze ist kennzeichnend für die Argumentation dieses Moralexperten. So weiß man hier nicht, ob er für die Auflösung der Ehe plädiert oder nur für das Ende des Zusammenlebens.

Naturrechtliche Sicht

Was nun aber die naturrechtliche Sicht der menschlichen Sexualität angeht, so ist ein Blick auf die Argumentation des Thomas von Aquin recht aufschlußreich. Er nimmt als oberstes Axiom an, daß die Sexualität von Natur aus der Fortpflanzung der jeweiligen Art gilt, so auch beim Menschen. Weiterhin erklärt er, meines Erachtens mit guten Gründen, daß die Ehe die angemessene Lebensform für die Zeugung und die lange Zeit erfordernde Erziehung der Kinder sei (Summa contra Gentiles III, 122).

Dagegen gelingt es ihm nicht, rational zu begründen, daß die Ehe lebenslang dauern müsse, meint er doch unter anderem, die Frau bedürfe von Natur aus der Leitung (gubernatio) und Fürsorge des Mannes, was dem zeitgenössischen, inzwischen aber längst veralteten Menschenbild entspricht (S.c.G. III, 123). Dagegen kann er mit Argumenten des Glaubens die Unauflöslichkeit der Ehe plausibel begründen, indem er sie von ihrem sakramentalen Charakter ableitet. Er sagt nämlich, die Ehe diene nicht nur der Fortpflanzung der menschlichen Art, sondern damit auch der Fortdauer der politischen Gesellschaft und der Fortdauer der Kirche. Damit aber sei der gläubige Mensch auch der Leitung der Kirche in diesen Dingen unterworfen — ein durchaus überzeugendes Argument, wenn man die Voraussetzung des Glaubens akzeptiert (S.c.G. IV, 78).

Dazu wäre noch dreierlei anzumerken. Erstens wendet Thomas sich gegen jede manichäische Auffassung der Sexualität, die, durch Augustinus vermittelt, im Christentum weit verbreitet ist. Rahner /Vorgrimler erwähnen katholische Traditonalisten, die die Ehe für „legalisierte Unzucht“ halten (l.c. 435), und Patzig verweist auf pietistische Autoren, die „eine pflichtgemäße und zugleich lustlose Zeugung von Kindern ernstlich empfehlen“ (l.c. 96).

Thomas dagegen, dessen ganzes Denken um die Idee der Schöpfung kreist und dessen Lehre von Chesterton ein „Lob des Seins“ genannt werden konnte, nimmt von der metaphysischen Bejahung der Kreatürlichkeit auch die Sexualität nicht aus: „Die naturhaften Neigungen wohnen den Dingen inne von Gott her … In allen Sinnenwesen aber wohnt der naturhafte Drang zu fleischlicher Vereinigung. Es ist also unmöglich, daß die fleischliche Vereinigung in sich selbst böse sei.“ (S.c.G. III,126) Dem entspricht die Überzeugung des christlichen Philosophen Theodor Haecker: „Jede Natur, die sich in Lust vollendet, tut den Willen Gottes“ (Tag- und Nachtbücher 1959, 334).

Zweitens wäre zu ergänzen, daß nach der Lehre des Thomas sexuelles Verhalten auch dann erlaubt ist, wenn ein Ehepartner unfruchtbar ist und deshalb das Ziel der Fortpflanzung nicht erreicht werden kann (S.c.G. III,122). Wie man sieht, bleibt er seiner naturrechtlichen Linie auch in diesem Punkt treu, da er die Unfruchtbarkeit als eine Sache der Natur auffaßt, die man als solche hinnehmen müsse.

Eine dritte Bemerkung betrifft das christliche Denken insgesamt oder prinzipiell. Thomas hat bei verschiedenen Gelegenheiten energisch betont, daß die Christen keine Argumente zugunsten des Glaubens vorbringen dürften, die den Ungläubigen lächerlich erscheinen (S.th. I,46,6). Siehe das erwähnte, nur albern zu nennende Argument, daß sich das Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung aus dem Begriff der Hingabe ableiten lasse.

Hier möchte ich noch eine Arabeske einfügen, die zeigt, daß das Denken in naturrechtlichen Kategorien keineswegs ein Privileg der Ethik-Experten ist. Nero Wolfe spricht gelegentlich von jenen „Eigenschaften junger Frauen, die die Hauptstütze unserer Rasse in unserem tapferem Kampf gegen die Bedrohung durch die Insekten darstellt.“ Womit er in gebildeten Worten sagen will, daß erotische Reize in unserem Kampf ums Dasein als Anregung dienen, für den Erhalt der menschlichen Gattung zu sorgen. Ich habe Nero Wolfe auch erwähnt, weil er es als Detektiv immer abgelehnt hat, sich mit Ehesachen zu befassen. Er gab damit wohl auch zu verstehen, daß dies keinen Dritten etwas angeht. Einer seiner Sprüche lautet übrigens: "Nichts in der Natur ist absurd, obgleich manches beklagenswert ist". (cf. J.Q., Die Grenzen des Menschlichen).

Folgerungen

Diese ganze Diskussion einer naturrechtlichen Sicht der menschlichen Geschlechtlichkeit läuft auf die zentrale philosophische oder ethische Frage hinaus, ob das Naturrecht sich ändern kann, heute also die Sexualität nicht mehr ohne weiteres mit dem Ziel der Fortpflanzung wesentlich zu verbinden sei. Auch Thomas hat die Frage erörtert, ob das Naturrecht sich ändern kann. Er hält dafür, daß die obersten Prinzipien des Naturrechts völlig unveränderlich seien, nicht jedoch die davon abgeleiteten sekundären Vorschriften, die für konkrete Umstände gelten (Summa theologiae I-II,44,4).

Da ich Thomas viel zu wenig kenne, kann ich leider nicht genau darlegen, wie er den naturrechtlichen Aspekt des menschlichen Sexualverhaltens im einzelnen beschreibt und erklärt. Ich teile aber mit ihm die Auffassung, daß man diese Beziehung rational diskutieren kann, und meine, daß man als oberstes Prinzip annehmen kann, daß die Sexualität im allgemeinen von Natur aus mit der Fortpflanzung verbunden ist. Daraus folgt aber nicht automatisch, daß diese Beziehung auch als Norm für den Menschen gilt — dies müßte vielmehr erst nachgewiesen werden, und was die Situation heute angeht, so ist klar, daß die aus jenem Axiom abzuleitenden sekundären Vorschriften für das menschliche Verhalten keinesfalls unverändert aus der Tradition übernommen werden können, weil sich die Umwelt des Menschen durch sein eigenes Verhalten radikal verändert hat, gemeint ist die Überbevölkerung, die ihrerseits eine Ursache der fortschreitenden Zerstörung der Natur ist.

Wenn es nun aber eine unbeabsichtigte Folge einer naturrechtlichen Norm ist, daß die natürliche Umwelt des Menschen zunehmend zerstört wird, läßt sich diese Norm nicht mehr aufrecht erhalten. Unter diesen Bedingungen wäre es gegen den Sinn, die Logik des Naturrechts, als Norm zu fordern, daß das Ziel der menschlichen Sexualität immer die Fortpflanzung der menschlichen Art sein müsse. In dieser Situation müßte vielmehr der geistige oder emotionale Aspekt des Menschen in seinem erotischen Verhalten an erster Stelle berücksichtigt werden.

Was daraus für unser Thema im einzelnen folgt, ist ein weites Feld, über das manches zu sagen wäre. Dazu nur ein Wort. Aus anthropologischer Sicht dürfte klar sein, daß homosexuelle Beziehungen nicht gleichwertig sind mit heterosexuellen Beziehungen. Jene sind eine Ausnahme in der Natur und es ist laut Thomas evident, daß von Ausnahmen keine Regel ableitbar ist. Damit genug zu diesem Thema. "Kardinal! Ich habe das Meinige getan. Tun Sie das Ihre."

J.Q. — 14. Juni 2020

© J.Quack


Zum Anfang