Josef Quack

Zweifel an der Vernunft derer, die uns regieren





An nescis, mi fili, quantilla prudentia regatur orbis?
Weißt du denn nicht, mein Sohn, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird?

Oxenstierna, Kanzler Gustav Adolfs

Vor einigen Monaten fragte das Wall-Street-Journal, ob die Deutschen verrückt seien. Sie befinden sich in einer ernsten Energiekrise und schalten trotzdem ihre letzten Kernkraftwerke ab. „Verrückt“ bedeutet, daß die Deutschen in der brenzligen Lage irrational handeln.

In der Tat kann man die deutsche Kernkraftpolitik seit der Katastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 kaum rational nennen. Die damalige CDU-Regierung beschloß praktisch sofort den Ausstieg aus der Kernkraftenergie, bevor noch eine wissenschaftliche Analyse der Fehler vorlag, die zu dem großen Unglück geführt hatten.

Es stellte sich heraus, daß der Unfall mit verheerenden Kernschmelzen in drei Reaktoren hauptsächlich durch vermeidbare Fehler, durch technische Konstruktionsmängel, falscher Standort der Gebäude und Notaggregate, mangelnde Wartung ermöglicht worden war. Die japanische Regierung entschied sich jedoch, trotz der großen Schäden an der Umwelt und der menschlichen Opfer und trotz heftiger Proteste der Bevölkerung, nicht aus der Kernenergie auszusteigen, sondern weitere Kernkraftwerke zu bauen. Die Gründe dafür waren überwältigend, d.h. anders ließ sich eine sichere Energieversorgung des Industrielandes nicht herstellen

Übrigens zeigte die Nachprüfung neben enormen Schäden auch ein unerwartet positives Ergebnis. Das Kraftwerk ist zwar der Riesengewalt der Sturmflut erlegen, jedoch hat es der Gewalt des Erdbebens standgehalten – eine unschätzbare Erkenntnis für ein Land mit labiler geologischer Struktur. Mit anderen Worten, die Japaner können erdbebensichere Kernkraftwerke bauen.

Bis heute streitet man, ob die Kernkraftkatastrophe von Fukushima oder das Unglück von Tschernobyl 1986 schlimmer gewesen sei. Manches spricht dafür, daß die Reaktor-Explosion von Tschernobyl weit verheerendere Folgen hatte als der japanische Unfall. Wie dem aber sei, die Ukraine denkt bis heute nicht daran, auf Atomkraftwerke zu verzichten.

Übrigens hat eine Prüfung ergeben, daß es zu der Katastrophe nur kommen konnte, weil die zentrale Behörde in Moskau die Techniker in Tschernobyl nicht auf die Gefahren eines Experimentes hingewiesen haben, das sie ausführen sollten und ohne Warnung dann zu ihrem tödlichen Schaden ausgeführt haben. Schuld an dem Unglück war die falsche Organisationsform der Kommunikation in einem totalitären Staat oder, wie Helmut Schmidt schrieb, "die regierungsseitige Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit" (Weggefährten. Berlin 1998, 146).

Die Ukraine setzt aber weiterhin auf Kernenergie, natürlich auch aus wirtschaftspolitischen Gründen, um von Rußlands Gas- und Erdöllieferungen unabhängig zu sein.

Zugleich mit der Meldung über den deutschen Atomausstieg wird dieser Tage die Nachricht verbreitet, daß Polen in die Nutzung der Kernenergie einsteigen und mehrere Atomkraftwerke von einer amerikanischen Firma bauen lassen will. Auch hat Schweden seinen Entschluß rückgängig gemacht, auf Atomenergie zu verzichten; es will mehrere Kernkraftwerke bauen.

Um auch den weiteren Horizont der Energieversorgung zu erwähnen, wäre festzuhalten, daß Ungarn und Österreich weiterhin und vermehrt Gas aus Rußland beziehen wollen, während Deutschland auf eine derartige Verbindung verzichtet und statt dessen teure Terminals für Flüssiggas an der See errichtet.

Leider gibt es für die irrationale Energiepolitik Deutschlands mit dem Ausstieg aus der Kernenergie keine politische Alternative. Es haben sich einzelne Stimmen aus der Wirtschaft und einer einzigen Partei gemeldet, die überzeugende Gründe dafür angaben, die letzten aktiven Atomkraftwerke in Reserve zu halten. Man hörte auch Warnungen, daß der Verzicht auf Kernenergie noch schlimme ökonomische und ökologische Folgen haben würde. Diese Stimmen wurden nicht beachtet. Die deutsche Energiepolitik ist offensichtlich keine Sache vernünftiger Überlegung und wissenschaftsorientierter Planung, sondern das Ergebnis einer unbelehrbaren, letztlich technikfeindlichen Ideologie.

In den vergangenen Monaten mußte allenthalben an Energie gespart werden, selbst die Kirchen blieben ungeheizt und die Gas- und Strompreise stiegen, damit aber auch die Inflationsrate und die Kosten für die Haushalte. Die in Berlin regierenden Wirtschaftspolitiker aber versichern, daß die Energieversorgung gewährleistet sei. Zu welchem Preis verrieten sie nicht.

Jedoch ist an der politischen Konstellation nichts zu ändern, daß die entscheidenden Parteien alle für den Ausstieg sind. In Berlin hat sich eine unheilige Koalition fast aller Parteien gegen die Kernenergie gebildet. Eine Opposition in dieser Frage gibt es nicht, eine politische Alternative ist nicht in Sicht. Die Deutschen gehen mal wieder einen Sonderweg.

Die Frage des Wall-Street-Journal ist also berechtigt: Werden wir von Irren regiert?

J.Q. — 12. April 2023

© J.Quack


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