Wer sich einen politisch-historischen Film wie die Thirteen Days (2000) von Roger Donaldson anschaut, kann erwarten, daß die Filmstory die historischen Ereignisse im großen und ganzen richtig wiedergibt. Er weiß natürlich, daß der Spielfilm ein Genre der Unterhaltung ist, das abstrakte Beziehungen in Form spannender Handlung und politische Konflikte in dramatischen Szenen darstellen muß. Dies alles zugestanden, glaubt der Zuschauer doch darauf zählen zu können, daß auch der spannendste Politthriller nicht signifikant von der historischen Wahrheit abweicht.
Dies ist aber gerade der Fall der Thirteen days und zwar hauptsächlich deshalb, weil der Film dem von den Kennedys geschaffenen Mythos über sich aufgesessen ist und die historischen Ereignisse so präsentiert, wie es diesem falschen Image entspricht. Nun hat aber John F. Kennedy ironischerweise selbst dafür gesorgt, daß dieser Mythos gründlichst entzaubert werden konnte. Nicht Richard Nixon, wie gemeinhin angenommen, sondern J.F. Kennedy war es, der im Kabinettsaal und im Oval Office des Weißen Hauses eine Abhöranlage einbauen ließ, so daß er die politischen Gespräche auf Tonband aufnehmen konnte. Diese Gespräche wurden 2003/4 abgeschrieben und veröffentlicht, so daß sich Kennedys tatsächliche Politik, die mit der propagandistisch geschönten Ansicht dieser Politik wenig zu tun hat, nun genau erkennen und beurteilen läßt.
Auf diese Dokumente und auf die Aufzeichnungen von John McCone, der damals die CIA leitete, stützt sich Tim Weiner in seiner Geschichte der CIA, wo er das Verhalten Kennedys während der Kuba-Krise beschreibt, wie es wirklich war. Weiner über das gängige Image: „Nach traditioneller Lehrmeinung sollen John und Robert Kennedy im Schmelztiegel der Kubakrise charakterlich neu geformt worden sein: Aus einem unerfahrenen Oberbefehlshaber wurde ein brillanter Staatschef, der junge Bobby wandelte sich von einem Falken zur Taube und das Weiße Haus vom Harvard-Seminar zum Tempel der Weisheit. Ein Teil davon ist Mythos und beruht auf ungenauen und gefälschten Quellen.“ (Weiner, CIA 2012, 751).
Mit den gleichen Worten könnte man die Intention und die Aussage des Films von Roger Donaldson beschreiben, der das falsche Image der Kennedys sozusagen unverfälscht wiedergibt. Daß der Film vor 2003 entstanden ist, dem Jahr, in dem die genannten Dokumente veröffentlicht wurden, die für die endgültige Entzauberung Kennedys maßgeblich sind, ist keine Entschuldigung, denn in der Zeitgeschichtsschreibung war der Mythos des Clans längst als solcher durchschaut worden.
Auf die Informationen von Tim Weiner gestützt, muß man feststellen, daß der Film über die Kuba-Krise drei schwere historische Fehler enthält, d.h. ein Informationsversäumnis und zwei falsche Darstellungen historischer Fakten. Nicht erzählt wird im Film die verhängnisvolle, manches erklärende Vorgeschichte der Kubakrise, eine fatale Anordnung Kennedys, die die Krise erheblich verschärft hat. Schon im August 1962 hatte McCone auf die Möglichkeit hingewiesen, daß die Russen auf Kuba Atomraketen stationieren könnten. Aufgrund anderer Ereignisse beging Kennedy nun den entscheidenden Fehler, daß er während fünf Wochen bis Anfang Oktober 1962 jeden Aufklärungsflug über Kuba verbot, so daß die Amerikaner von der beginnenden Stationierung der Mittelstrecken-Raketen nichts mitbekamen.
Falsch ist im Film dargestellt, daß Robert McNamara, der Verteidigungsminister, den Vorschlag macht, eine Seeblockade über Kuba zu verhängen – in Wirklichkeit stammt dieser Vorschlag von McCone. Falsch ist auch, daß Kennedy zur Lösung der Krise anbot, die amerikanischen Atomraketen aus der Türkei abzuziehen im Austausch gegen den Abzug der russischen Raketen aus Kuba – in Wirklichkeit hat Chruschtschow diesen Handel vorgeschlagen und es war wiederum McCone, der als erster für diesen Handel stimmte.
Im Film werden die Reibungen zwischen dem Weißen Haus und der Militärbürokratie des Pentagons weit überspitzt dargestellt. So ist es ganz unwahrscheinlich, daß ein Admiral seinen direkten Oberbefehlshaber, den Verteidigungsminister, offen in die Schranken weist, wie es hier gezeigt wird. Richtig an dieser Szene ist aber, daß auf einen bestehenden Grundkonflikt angespielt wurde. 1969 erklärte nämlich McNamara gegenüber Henry Kissinger, er habe während sieben Jahre mit der bürokratischen Opposition seines Ministeriums nicht fertig werden können – und er war noch einer der energischsten und kompetentesten Minister seiner Zeit.
Im Film tritt der Luftwaffenchef Le May als der unsympathische kalte Krieger auf, wie er im Buche steht. Es hätte nichts geschadet, wenn der Film erwähnt hätte, daß Le May zu den Soldaten gehörte, die 1945 an dem Abwurf der Atombomben auf Japan beteiligt waren.
Was Robert Kennedy angeht, so wird seine Tätigkeit nur in Teilen historisch zutreffend beschrieben. McCone erinnert ihn in einer Szene des Excom-Ausschusses daran, daß er nichts dagegen gehabt habe, Castro mit Hilfe der CIA loszuwerden – was aber nur die halbe Wahrheit über die Rolle Robert Kennedys ist. Er leitete – als Justizminister! - nämlich persönlich die Geheimoperationen, deren Ziel es war, Castro zu liquidieren. Richtig ist aber, daß er dann auch bald für den Handel mit Chruschtschow stimmte.
Richtig ist in der Filmstory auch, daß der Präsident trotz seiner nominalen Machtbefugnisse es äußerst schwer hat, seine Entscheidungen gegen die Vorschriften und Meinungen des Militärapparates tatsächlich durchzusetzen. Filmtechnisch mißglückt sind allerdings die Konferenz-Szenen, in denen die Teilnehmer als Peripatetiker hin- und hergehen, während sie wichtige Probleme besprechen. Hier hat der Regisseur die Grundforderung des Films, Bewegung zu zeigen, allzu naiv und phantasielos realisiert, statt etwa auf die Bewegung der Kamera zu setzen, die sitzenden Akteure aus wechselnden Blickwinkeln oder wechselndem Abstand aufzunehmen und ihr Mienenspiel zu beobachten.
Man kann nicht bestreiten, daß der Film, wenn man von seinen politisch-historischen Schwächen absieht, im Rahmen seiner Voraussetzungen durchaus spannend ist. Er inszeniert die apokalyptische Stimmung vor einem Atomkrieg mit ihrer martialischen Schauseite durchaus effektvoll, die machtvolle Aktivität auf Militärflughäfen zeigend, die hektische Vorbereitung der Gefechtsbereitschaft auf einem Zerstörer, Raketentests und den Formationsflug der Aufklärer. Auch fehlt die religiöse Note der Endzeitstimmung nicht, der Kirchenbesuch und die Schlangen vor den Beichtstühlen. Immerhin war es jener historische Augenblick in der Nachkriegszeit, der einem Atomkrieg am nächsten kam. Die Darsteller sind nach Möglichkeit den historischen Personen im Aussehen nachgebildet und als solche durchaus überzeugend.
Mit der Ausnahme von Jacqueline Kennedy. Sie war eine sehr elegante und sehr kluge Frau. Im Film aber hat sie einen Zwei-Minuten-Auftritt, der sie als Hausmütterchen und Mauerblümchen zeigt. Freilich ist Eleganz ein Artikel, der den autochthonen Frauen in amerikanischen Filmen unbekannt ist. Siehe nur zum Beispiel Julia Roberts im Krieg des Charlie Wilson mit einem nach hinten getürmten Schopf, als habe sie einen Doppelkopf, und mit einem knallroten Strich Lippenstift von einem Ohr bis zum anderen. Einfach geschmacklos.
The Post (dt. Die Verlegerin), 2017, von Steven Spielberg ist ein Film über den juristischen Kampf um das Recht der Presse, die Pentagon-Papiere zu veröffentlichen. Die Pentagon-Papiere sind eine von Verteidigungsminister Robert McNamara 1967 veranlaßte historische Dokumentation über das politisch-militärische Engagement der USA in Vietnam. Daniel Ellsberg hatte das 7000seitige Exemplar der Dokumentation, das im Besitz der Rand-Corporation, einer politischen Beratungsfirma, war, im Sommer 1971 kopiert und der New York Times zugespielt; später erhielt auch die Washington Post 4000 Seiten jener Papiere.
Die Veröffentlichung dieser Dokumente wurden deshalb zur Sensation, weil sie bewiesen, daß sowohl die Kennedy- als auch die Johnson-Regierung die Öffentlichkeit über ihre Verstrickung in den Krieg und die tatsächliche Lage in Vietnam falsch informiert oder belogen haben. Hannah Arendt nahm diese Papiere zum Anlaß, um einen grundsätzlichen Aufsatz über die „Lüge in der Politik“ (1972) zu schreiben, eine Standard-Schrift des politischen Denkens. Sie erinnert daran, daß die Lüge in der Politik nichts Neues sei und immer als erlaubtes Mittel galt. Neu in der jetzigen Affäre sei aber, daß die Regierungen glaubten, mit den Mitteln der Public Relations die Öffentlichkeit total manipulieren zu können. Die Maßnahmen in Vietnam seien nicht der objektiven Situation entsprechend, sondern hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt getroffen worden, ob sie dem Image der Regierung oder Amerikas nützen würden. Dies hielt sie für das größte Fehlurteil (In der Gegenwart 2000, 334).
Spielbergs Film stützt sich im wesentlichen auf die Memoiren von Katharine Graham, die Verlegerin der Washington Post, und beschreibt die Versuche dieser Zeitung, wie die New York Times an jene Papiere heranzukommen, sie zu drucken und die Pressefreiheit vor Gericht zu verteidigen. Es ist ein durchaus spannender Film über die Rivalitäten in der amerikanischen Zeitungsszene, doch gelingt es ihm nicht, die angedeutete Bedeutung des politischen Themas und die eigentliche Pointe der gerichtlichen Auseinandersetzung sachgerecht, d.h. hier mit typisch filmischen Mitteln, darzustellen, ja, es gelingt ihm nicht einmal, diese Aspekte überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn ihr sachliches Gewicht zu erkennen.
Im einzelnen weist der Film zwei thematische Leerstellen auf, die ihn als politisch-historischen Film empfindlich entwerten. Ellsberg bringt als Motiv für die Publizierung geheimer Regierungsdokumente vor, daß die Nixon-Regierung in Vietnam so weitermache wie die Vorgänger-Regierungen – was einfach nicht stimmt, hatte die Nixon-Regierung doch das Ziel, ihre Truppen zurückzuziehen und den Krieg zu „vietnamisieren“, d.h. den militärischen Kampf dem südvietnamesischen Regime zu überlassen. Seit 1969 waren mehrere hunderttausend amerikanische Soldaten aus Vietnam abgezogen worden.
Diese informatorische Lücke zeigt, daß im Film insgesamt der politische Kontext jener Jahre, die innere Zerrissenheit des Landes, die militante Protestbewegung gegen den Vietnam-Krieg, die neue, auf Entspannung gerichtete Außenpolitik, praktisch überhaupt nicht beachtet wurde. Aber nur diese Situation kann überhaupt erklären, warum die Publikation der Pentagon-Papiere zu einer derartigen Sensation werden konnte. Ellsbergs eigentliches Motiv, sein Protest gegen die Verlogenheit der beschriebenen Politik, wird zwar genannt, aber doch zu schwach akzentuiert.
Was die gerichtliche Auseinandersetzung angeht, so wird die Entscheidung des Gerichts, die Publikation der Papiere zu erlauben, die mit sechs zu drei Stimmen getroffen worden war, als Sieg der Pressefreiheit dargestellt. Dagegen wird die denkwürdige Begründung dieses Gerichtsurteils nicht beachtet und in seiner Bedeutung erkannt. Das Oberste Gericht hat nämlich befunden, daß die Regierung nicht bewiesen habe, daß die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere die nationale Sicherheit gefährde (K. Graham, „Wir drucken“, 2001, 496).
Die Erklärung für diesen im Film vernachlässigten Umstand findet man wiederum bei Arendt: „Entscheidend ist hier nicht nur, daß die planmäßigen Lügen kaum je für den Feind bestimmt waren (das ist einer der Gründe, weshalb die Papiere keinerlei militärische Geheimnisse enthalten, die unter das Spionagegesetz fallen könnten), sondern in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich für den Hausgebrauch: für die Propaganda im Innern und zumal zur Täuschung des Kongresses.“ (In der Gegenwart 2000, 330) Arendt weist auch auf die desaströse Folgen der meisterhaften Lüge hin: „Je erfolgreicher einer lügt und je mehr Menschen er überzeugt, desto mehr besteht die Aussicht, daß er am Ende an seine eigene Lügen glaubt“ (l.c. 344)
Im Film wird auch die Tatsache nicht beachtet, daß das Gerichtsurteil keinen Zweifel daran läßt, daß es Geheimsachen gibt, die die Regierung unter Verschluß halten kann. Dies unterstreicht Henry Kissinger, der damals als Sicherheitsberater die Außenpolitik maßgeblich prägte: „Eine Nation, der man nicht zutraut, daß sie den Inhalt vertraulicher Mitteilungen geheimhalten kann, verliert die Fähigkeit, auf diplomatischem Gebiet tätig zu werden“ (Memoiren 1973/74, 1982, 139).
Es gehört zum intellektuellen Defizit des Films, daß darin diese ebenso grundsätzlichen wie sensiblen Fragen überhaupt nicht zur Sprache kommen. Der Film spielt im Sommer 1971, in einer Zeit der hitzigsten politischen Diskussionen, wovon im Film nicht der geringste Hauch zu spüren ist.
Von K. Graham erfährt man auch mehrere unbestreitbar pikante Aspekte dieser Affäre, die im Film wiederum nicht vorkommen. So hat etwa McNamara der New York Times vor der Veröffentlichung der Pentagon-Papiere einen wertvollen juristischen Rat gegeben, der die Zeitung vor peinlichen Folgen ihres Verhaltens bewahrt hat (Graham l.c. 485). Daraus kann man übrigens schließen, daß er selbst wohl gegen die Publikation der Geheimsachen nichts einzuwenden hatte. Im Film wird nur die Enttäuschung der Verlegerin über das politische Verhalten des mit ihr befreundeten ehemaligen Verteidigungsministers künstlich dramatisiert, jene Episode aber nicht erwähnt.
Nicht erwähnt wird im Film auch das Statement des Redakteurs der Post, der erklärt, er habe die Papiere nur deshalb bekommen, weil er Ellsberg versprochen habe, sie auch zu veröffentlichen. Er besteht auf diesem Versprechen, das er seiner Quelle gegeben hat, und sagt zu den Anwälten der Zeitung: „Der einzige Weg, das Recht auf Veröffentlichung zu sichern, ist die Veröffentlichung“ (Graham l.c. 489).
Daß Spielberg die Chance verpaßt hat, das turbulente politische Klima jener Jahre darzustellen, das zum Verständnis der Affäre unerläßlich ist, liegt wohl hauptsächlich daran, daß er den Ehrgeiz hatte, einen Zeitungsfilm wie All the president's men (Die Unbestechlichen, 1976) zu drehen, den Film von Alan J. Pakula über die Enthüllung der Watergate-Affäre durch Bob Woodward und Carl Bernstein. Hier spielt Jason Robards den legendären Chefredakteur der Washington-Post, Ben Bradley, derart brillant, daß man ihn bei der Oscar-Verleihung nicht übergehen konnte. In Spielbergs Film verkörpert Tom Hanks den Chefredakteur Ben Bradley recht brav, aber doch nicht so glänzend wie ehedem Robards.
Zur Filmtechnik wäre noch zu sagen, daß der Regisseur denselben Fehler macht wie R. Donaldson in seinem Kennedy-Film: er läßt die Personen im Hin- und Hergehen wichtige Geschäfte und riskante Entscheidungen besprechen. Außerdem zeigt er das Innere der Wohnungen gerne im Halbdunkel, als seien die Amerikaner noch Höhlenbewohner, was in einem übertragenen Sinne wohl auch stimmen mag. Der Film hat aber insofern einen gewissen technikgeschichtlichen Wert, als er in langen Sequenzen die Herstellung einer Zeitung vorführt, die im Bleisatz ausgeführt und gedruckt wird. Eine Hommage an die gute alte Zeit, als die Zeitungen noch ein florierendes Medium mit beträchtlichem politischen Einfluß waren
Zu dem Punkt, daß der Film den politischen Kontext sträflich vernachlässigt, wäre noch zu sagen, daß zu der gleichen Zeit, als die Pentagon-Papiere veröffentlicht wurden, Henry Kissinger seine Geheimreise nach Peking durchführte, womit Nixon die Volksrepublik China anerkannte und eine radikale Wende in der Weltpolitik durchführte. Davon ist in dem Film kein Wort zu hören. Wie so oft hat Hollywood auch in diesem Film die politische Wahrheit der Voreingenommenheit der Filmemacher geopfert. Nicht ohne Grund beginnt der Film mit der läppischen Episode, daß das Weiße Haus der Reporterin der Washington Post den Zugang zur Hochzeit von Nixons Tochter verwehrt. Trivialer geht es nicht mehr.
Die drei Agentenfilme von David Hare, Page eight, Turks & Caicos, Salting the Battlefield (2011/14), deutsch unter dem Titel Die Verschwörung vereint, sind eine reine Freude. Sie sind ungewöhnlich spannend und ungewöhnlich intelligent. Turks und Caicos sind britische Inseln in der Karibik, wo der zweite Film der nach der Hauptfigur genannten Worriker-Trilogie spielt.
Der Umschlagtext der DVD behauptet, es sei ein Spionage-Thriller in bester Bond-Tradition – nichts ist falscher als das. Die Bond-Filme waren Märchen für Erwachsene, phantastische Geschichten, so weit von der politischen Realität entfernt wie ein Taucher, der aus dem Wasser steigt und unter seinem Tauchanzug einen Smoking und einen Querbinder trägt, Filme voller Kraftakte, kühner Aktionsszenen und technischer Spielereien.
Nichts davon findet sich in der Trilogie der Verschwörung von David Hare, von dem auch die Story und das Drehbuch stammt. Hier resultiert die Spannung aus intellektuellen, politischen, rechtlichen Konflikten. Es geht um ein geistiges Kräftemessen, letztlich ist es ein politischer Kampf zwischen einem Geheimdienstanalytiker und dem Premierminister vor dem Hintergrund der geopolitischen Situation nach dem Irakkrieg, anfangs der 2000er Jahre.
Die Besprechung dieser Agentenfilme stellt mich aber vor ein echtes Dilemma. Wenn ich das Lob begründen will, müßte ich die Handlung im einzelnen nacherzählen; damit raube ich dem Leser, der den Film noch nicht kennt, aber das Vergnügen der Spannung. Wenn ich mich auf eine allgemeine Charakteristik des Films beschränke, erhalte ich zwar das Moment der Spannung, kann aber das Lob kaum überzeugend begründen. Trotz dieses Nachteils werde ich mich an die zweite Alternative halten und es bei allgemeinen Bemerkungen zur Story belassen.
Vorweg sei nur gesagt, daß Johnny Worriker, ein hoher Beamter des Geheimdienstes MI5, letztlich gegen drei Gegner zu kämpfen hat, gegen die höchste staatliche Autorität, den Premierminister, die neue Leitung seiner Behörde und gegen den amerikanischen Geheimdienst. Bei dem Streit Worrikers mit dem Regierungschef und der Geheimdienstspitze geht es konkret um eine extrem heikle und verdächtige Form der „besonderen Beziehung“ Englands zu Amerika, aber letztlich um das nationale Interesse, genauer um die Frage, worin das nationale Interesse im konkreten Fall besteht und wer das nationale Interesse oder die Staatsräson vertritt. Es handelt sich um den tödlich ernsten Gegensatz zwischen Staatsmacht und einem Vertreter der Bürgerrechte.
Daraus folgt notwendig, daß die Wortwechsel zwischen dem Premierminister und Worriker der dramatische Höhepunkt der Filmserie sind, kein Duell der Waffen, sondern ein Zweikampf der Intelligenzen. Doch fehlen auch die elementaren filmischen Spannungselemente nicht, so vor allem die trickreichen Fluchten Worrikers und seine nicht weniger trickreiche Heimkehr.
Von sinnbildlicher Bedeutung sind ein paar einprägsame Bildsequenzen: der eilige Gang des schlanken, langbeinigen Worrikers im kurzen Mantel, exzellent gespielt von Bill Nighy, durch die dunklen Straßen Londons, begleitet von Jazz-Musik, was an den film noir erinnert und dem Ganzen eine existentialistische Note gibt; der energische Gesichtsausdruck seines Gegenspielers, des selbstherrlichen, arroganten Regierungschefs, nicht weniger großartig von Ralph Fiennes entschlossen verkörpert, ein durchtrainierter Machtmensch, wie er im Buche steht; dann die trügerisch flexible Figur der trickreichen Leiterin des Geheimdienstes (Judy Davis); schließlich eine Serie von Großaufnahmen weiblicher Gesichter, begleitet von entschlossenen Selbstaussagen.
Was den menschlichen Faktor angeht, so dokumentiert die Serie die Wandlung einer lange Zeit puritanischen, ein wenig heuchlerischen Gesellschaft viktorianischen Ursprungs zu einer libertären Gesellschaft von zynischer Offenheit, die doch ein wenig übertrieben wirkt. Die Tochter Worrikers, eine Malerin düsterer Verzweiflungsbilder, erwartet ein Kind von einem Mann, mit dem sie eine Woche liiert war; ein Journalist klagt über seine homosexuellen Kümmernisse; eine Verlegerin rühmt sich ihres geistig unbedarften, aber potenten Freundes; Worrikers Verhältnis zu Frauen ist kaum zu durchschauen, und schließlich ein dezenter Bericht eines Opfers über ein scheußliches Verbrechen, der nur erträglich ist, weil die Affäre eine dramatische Wende der Handlung herbeiführt.
Die Szene ist London, berühmte Gebäude, hauptsächlich aber kahle, nichtssagende Büroräume, sterile Restaurants, provisorische Kunstateliers, dann die historischen Säle von Cambridge, wo ein Festessen stattfindet, ein ländliches Anwesen, eine anglikanische Kirche, dann eine Insel der Karibik, schließlich Wiesbaden und andere deutsche Städte, lange Fahrten mit der Bundesbahn, dann wieder London, eine Zeitungsredaktion, der Regierungssitz, wo der Endkampf der Kontrahenten ausgefochten wird.
Ein durch und durch britisch geprägter Film, in dem nicht einen Augenblick an dem Sinn und der Bedeutung des nationalen Interesses gezweifelt wird. Es wird nicht überbetont wie gelegentlich in Frankreich, es wird nicht schamhaft bestritten wie in Deutschland. Das Nationalbewußtsein ist für die Engländer etwas Selbstverständliches, das nicht beschworen werden muß. Zur Debatte stehen nur die Folgen, die sich aus dem nationalen Interesse in einem Fall von unbestreitbarer Aktualität ergeben – davon handelt die Trilogie.
Was die "besondere Beziehung" (special relationship) zwischen dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten angeht, so waren sich die Engländer ihrer Bedeutung immer wohl bewußt. Wie Henry Kissinger berichtet, sagte James Callaghan, damals britischer Außenminister, 1974 während einer Krise zu ihm: "Sie liefern die Muskeln, wir liefern das Hirn dazu". Das war im Scherz gesagt, es blieb aber offen, ob es auch so gemeint war. Diesen Hintergrund sollte man kennen, wenn man David Hares politische Filmtrilogie verstehen will.
Übrigens kann man bei Kipling, in der Erzählung über die "Flagge ihres Vaterlandes", nachlesen, mit welcher Diskretion das politisch Selbstverständlichste in der Zeit des Empire behandelt wurde — trotz gewaltiger Veränderungen hat sich in diesem Punkt der Gesinnung nichts geändert.