Im folgenden geht es um einen außergewöhnlichen Fall in Heideggers Rezeptionsgeschichte, der geradezu paradoxe Züge trägt. Heidegger hat sich bekanntlich 1933/34 für Hitler und den Nationalsozialismus engagiert; dagegen berief sich Schoeps damals auf Heideggers Existenzphilosophie, um die nationalsozialistische Ideologie zu verwerfen und sich gegen sie zu entscheiden. Heidegger vertritt eine ethische Skepsis und spricht der Philosophie jede normative Kompetenz ab, während Schoeps ontologische Gedanken Heideggers als ethische Argumente für ein richtiges Leben auffaßt. „Ontologisch“ ist im Sinne Heideggers ein Attribut des menschlichen Seins. Offiziöse Philosophen der NS-Partei haben Heidegger vorgeworfen, er lehre eine Philosophie des Nihilismus (cf. Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit. Frankfurt 2009, 302 u. 309); dagegen betrachtet Schoeps die NS-Ideologie als einen Variante des Nihilismus, dem er mit Argumenten Heideggers widerspricht. – Diese Probleme gilt es im folgenden genauer zu besprechen und nach Möglichkeit zu lösen.
Heideggers Votum für Hitler 1933/34
Zunächst sei allgemein festgestellt, daß Heideggers Votum für Hitler 1933 sein persönlicher Fehler war. Doch ist die Frage, ob seine ethische Skepsis begründet ist, eine Sache von allgemeiner Bedeutung (cf. , Über Heideggers ethische Skepsis). Was nun sein Engagement für den Nationalsozialismus angeht, so ist es vor allem eine Frage der Hochschulpolitik und der Organisation der Universitäten, die hier nicht zur Debatte steht. Von eigentlicher philosophischer Bedeutung scheinen mir dagegen vor allem zwei anstößige, höchst problematische Aussagen Heideggers zugunsten des Nationalsozialismus in diesen Jahren zu sein.
Entgegen der Meinung vieler Interpreten meine ich damit nicht die vielfach kritisierte Rektoratsrede vom 27. 5. 1933 „Die Selbstbehauptung der deutschen Universität“. Dabei kann ich mich auf das Urteil von Karl Jaspers berufen. In einem Brief an Heidegger vom 23. 8. 1933 deutet Jaspers gewisse Vorbehalte gegen den „hohlen Klang“ und zeitgemäße Forciertheiten der Rede an, bescheinigt ihr aber „eine glaubwürdige Substanz“, d.h. philosophische Wahrheit, eine echte philosophische Bedeutung: „Alles in allem bin ich froh, daß jemand so sprechen kann, daß er an die echten Grenzen und Ursprünge rührt.“
Zu der komplizierten Beziehung der beiden Philosophen will ich nur noch erwähnen, daß Jaspers bei aller Kritik an Heideggers Engagement für Hitler doch bestätigt, daß Heidegger nicht „die Gemeinheit des Nationalsozialismus“ eigne (K. Jaspers, Philosophische Autobiographie. München 1977, 105).
Philosophisch höchst problematisch ist dagegen eine Aussage Heideggers in einem Wahlaufruf für Studenten, der im Herbst 1933 in einer Freiburger Studentenzeitung erschienen ist: „Nicht Lehrsätze und Ideen seien die Regeln eures Seins. Der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz.“ (zit. Der Spiegel 23/1976 S.198). Die emphatischen Sätze zeigen, daß Heidegger Hitler nicht nur als politischen Alleinherrscher Deutschlands anerkannte, sondern ihn sogar als existentielle Idealfigur empfahl. Zudem hat er die kluge Einsicht, zu der er in Sein und Zeit gekommen war, mißachtet, daß ein Philosoph keine normative Kompetenz in ethischen Fragen hat. Im Spiegel-Gespräch nahm er seine damaligen Aussagen denn auch zurück: „Die angeführten Sätze würde ich heute nicht mehr schreiben. Dergleichen habe ich schon 1934 nicht mehr gesagt.“ (l.c. 198)
Außerdem widerspricht dieses Statement seiner Kritik des moralischen Gesetzesbegriffs. Er lehnt den Begriff ab, weil er von einer Ontologie des Vorhandenen abgeleitet ist, die sich von der Seinsweise des Menschen fundamental unterscheidet (cf. Sein und Zeit 1979, 283).
Heidegger über Ethik
Allgemein wäre hier zu sagen, daß er in seiner Existenzphilosophie elementare Voraussetzungen für eine authentische ethische Einstellung beschrieben hat: Selbstsein, Wahl, Verantwortung, Entscheidung, Freiheit, Entschlossenheit. Unter Entschlossenheit versteht Heidegger die Haltung des Menschen, sich in eigener Verantwortung in existentiellen Fragen entscheiden zu wollen (cf. , Über Heideggers ethische Skepsis, S.147). Er hat aber keine normative Ethik vorgelegt. Seine Skepsis besteht darin, daß er der Philosophie die Kompetenz abspricht, moralische Normen oder Gebote anzugeben oder zu begründen: „Die existenziale Interpretation wird nie einen Machtspruch über existenzielle Möglichkeiten und Verbindlichkeiten übernehmen.“ (Sein und Zeit S.310) Im „Brief über den Humanismus“ (1946) bezeichnet er das moralische Gesetz im rein säkularen Sinne verächtlich als „das Gemächte menschlicher Vernunft“ und stellt ihm seine Auffassung von Gesetz und Nomos entgegen (Wegmarken 1978, 357).
Heidegger hat natürlich recht, daß keine zwischenmenschliche Vereinbarung unbedingt verpflichtend sein kann. Er wußte wie Schopenhauer, daß eine Ethik der unbedingten Pflicht nur im Sinne des biblischen Dekalogs, aber nicht in einer säkularen Philosophie begründet werden kann (cf. , Grenzen einer säkularen Ethik).
Karl Löwith berichtet, daß Studenten damals über Heideggers Unbestimmtheit der Entschlossenheit gespottet hätten: „Ich bin entschlossen, nur weiß ich nicht wozu“ (Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. 1989, 29). Offensichtlich haben diese Studenten Heideggers ethische Skepsis nicht verstanden, sie waren zudem autoritätsgläubig, wenn sie von der Philosophie eine geistige Führung erwarteten.
Das Diktum von Hitler als Gesetz war ein Schlagwort in einer Wahlrede, in einem unbedeutenden Blatt veröffentlicht, doch wurde es wegen seiner Prägnanz später oft zitiert und vielleicht für wichtiger genommen, als es verdient hatte. 1960 hat Heidegger jenes Diktum umgedeutet und behauptet, sein Sinn sei, daß Hitler dem Gesetz der Geschichte unterworfen sei (zit. bei Safranski S. 264). Diese Uminterpretation ist nicht nur wenig überzeugend, sondern erst recht fatal, da sie Hitlers Selbstverständnis entspricht, von der Vorsehung geführt zu werden. In dem späteren Spiegel-Gespräch hat er dann, wie zitiert, das Diktum nicht mehr verteidigt.
Heidegger über den Nationalsozialismus
Dagegen ist das zweite anstößige Diktum über den Nationalsozialismus nach dem Krieg unverändert in der Einführung in die Metaphysik (1953) erschienen, einem philosophischen Werk, das auf Vorlesungen von 1935 zurückgeht. Heidegger wirft darin der NS-Ideologie vor, daß sie sich auf Werte berufe. Dieser Auffassung stellt er „die innere Wahrheit und Größe“ der NS-Bewegung entgegen, was doch zu heißen scheint, daß er selbst dieser Auffassung des Nationalsozialismus zustimmt und sie anerkennt (EM 1976, 152). Er sieht diese Wahrheit und Größe in der „Begegnung der planetarisch bestimmten Technik und des neuzeitlichen Menschen“, eine Charakterisierung, die nach dem Kontext durchaus positiv gemeint ist. Diese Einschätzung aber paßt nicht ganz zu der Zeitdiagnose von der „trostlosen Raserei der entfesselten Technik“, von der früher die Rede war (EM 28). Auf diese Unstimmigkeit sei hier nur hingewiesen, ich kann sie nicht weiter diskutieren. Es bleibt also ein gewisser Zweifel, wie jenes fragwürdige Diktum zu verstehen ist.
Unklar und kontrovers bleibt schließlich auch, wie Heideggers Kritik am Judentum in den späteren „Schwarzen Heften“ aufzufassen sei, die nach 1938 entstanden sind (cf. Peter Trawny, Martin Heidegger. Frankfurt 2016, 97ff.). Es ist eine metaphysische Kritik im Sinne seiner seinsgeschichtlichen Theorie, deren Problematik ich hier nicht erörtern kann. Eine primäre Frage ist, wie man eine begründete Kritik am Judentum von einem reinen Antisemitismus unterscheiden kann. – Die bisherigen Bemerkungen dürften genügen, um Heideggers Votum für Hitler 1933 verständlich zu machen. Sie sind die Folie für Schoeps’ ethisch gemeinte Berufung auf die Existenzphilosophie Heideggers.
Zur Rezeption Heideggers
Was aber die Berufung Schoeps’ auf Heidegger angeht, so ist merkwürdig, daß er weder in den Texten der dreißiger Jahre noch in seinen Erinnerungen (1956/63) Heideggers Votum für Hitler 1933/34 erwähnt. Dies scheint darauf hinzudeuten, daß jenes Votum später in der Forschungsliteratur eine größere Publizität erlangt hat, als es zur damaligen Zeit hatte. Tatsächlich nimmt weder Victor Klemperer, der unmittelbar von der nationalsozialistischen Hochschulpolitik betroffen war, in seinen Tagebüchern Heideggers Rektoratsrede zur Kenntnis noch Thomas Mann, der zwar Mai/Juni 1933 in Südfrankreich weilte, aber doch deutsche Zeitungen las, so etwa Benns Erwiderung auf Klaus Mann’ offenen Brief an ihn.
Jedoch hat Karl Kraus in seiner Dritten Walpurgisnacht (1933) zwei Sätze aus der Rektoratsrede satirisch kommentiert und ihre Unlogik betont (Die Dritte Walpurgisnacht. München 1967, 58f.). Kraus aber suchte gemäß der an Goethes Drama orientierten Anlage seiner Schrift gezielt nach Philosophen, die sich für Hitler ausgesprochen hatten: „Denn wo Gespenster Platz genommen, / Ist auch der Philosoph willkommen“ (Faust VV 7843f.). (cf. , Bemerkungen zum Sprachverständnis von Karl Kraus, S.162ff.)
Wie es mit der öffentlichen Verbreitung von Heideggers Rede damals auch bestellt gewesen sein mag, es bleibt seltsam, daß Schoeps auch in der Nachkriegsschrift Heideggers politischen Fehler nicht erwähnt. Dies aber scheint zu bedeuten, daß seine Berufung auf Gedanken des Philosophen aus sachlichen Gründen gültig ist und von dessen politischem Fehler unberührt bleibt.
Schoeps über Heidegger
Schoeps war Anhänger der freideutschen Jugendbewegung. Später gehörte er zu den nationaldeutschen Juden, die sich als Glieder des deutschen Volkes verstanden, was von den Nazis kategorisch bestritten wurde. Die Rechte der deutschen Juden wurden in dem totalen Staat, der kein Rechtsstaat mehr war, immer mehr beschnitten, sie selbst boykottiert und verfolgt. Schoeps konnte sich 1938 sozusagen in letzter Minute ins schwedische Exil retten, während sein Vater, ein ehemaliger Oberstabsarzt, in Theresienstadt elend zugrundeging und seine Mutter in Auschwitz ermordet wurde. Schoeps vertrat, so lange wie möglich, das Heimatrecht der deutschen Juden – ein kapitaler Fehler, wie er später einsah: „Es liegt mir heute noch als Alpdruck auf der Seele, daß ich den Hunderttausenden, die dann ermordet wurden, nicht rechtzeitig zur Flucht um jeden Preis geraten habe.“ (Rückblicke, Berlin 1963, S.101).
Die folgenden Bemerkungen beziehen sich auf die Situation der dreißiger Jahre, in der alle politischen Bemühungen der deutschen Juden um ihre bürgerlichen Rechte gescheitert waren. Es blieb ihnen nur „eine Wendung nach innen“, die Bildung eines moralischen Widerstands in „intensiver Gesprächsgemeinschaft“, ein soziales Modell nach dem Vorbild der Jugendbewegung. Es war eine Bewegung des „trotzdem“. Dazu schreibt der Autor: „Das tragische Lebensgefühl, die von Heidegger verkündete 'Bedrohung durch das Nichts' und sein Appell, dem Nichts Widerstand zu leisten, 'in vorlaufender Entschlossenheit dem Tod unter die Augen zu gehen', das alles hatte bei uns nichts Akademisches mehr, sondern wirkte sich konkret im tatsächlichen Existieren aus.“ (l.c. 99)
Diese philosophischen Gedanken beziehen sich auf eine Programmschrift vom September/Oktober 1934 einer jüdischen Vereinigung über ihre Stellung zum religiösen Judentum. Diese kleine Gruppe deutscher Juden, die sich „Vortruppe“, d.h. Avantgarde nennt, sieht sich von der deutschen Gesellschaft und ihrem politischen Leben ausgeschlossen, sie weigert sich aber, zum traditionellen jüdischen Glauben zurückzukehren. Sie haben sich vielmehr in einer „wirklichen Entscheidung“ entschlossen, auf alle „vorletzten Motivationen“ und Ideologien zu verzichten (S.211). Ihre geistige Situation ist ein tragisches Lebensgefühl, trotz des Mangels allen Trostes auszuharren (S.214), im Bewußtsein, in Verzweiflung leben zu müssen: „Was objektive Verzweiflung heißt, wirkt sich nicht so aus, daß jeder einzelne verzweifelt sein muß, sondern es wirkt sich als Bedrohung aus, daß überall die Sinnleere uns umlauert.“ (S.212)
Ansatzpunkte bei Heidegger
Das ist der Ansatzpunkt für die Berufung auf Heideggers Existenzphilosophie. Sie soll helfen, der Sinnleere, dem Nichts, standzuhalten und zwar in einer Haltung der eigentlichen Seinsweise, die sich bewußt ist, ein Sein zum Tode zu sein. Dabei ist der Ausdruck „Bedrohung durch das Nichts“ kein wörtliches Zitat, sondern wie „sein Appell, dem Nichts Widerstand zu leisten“ eine großzügig ausgelegte Applikation oder Anwendung eines Gedankens von Heidegger oder seiner Intention. Dagegen ist die Aussage über die vorlaufende Entschlossenheit eine genaue Wiedergabe der Intention Heideggers. Auch der Verzicht auf „vorletzte Motivationen“ entspricht einem Gedanken des Philosophen, der schreibt, daß der Entschlossene versteht, daß die Angst von „nichtigen Möglichkeiten“ befreit (Sein und Zeit S.344).
Nach Heidegger macht der Mensch im Erlebnis der Angst eine eigentümliche Erfahrung des Nichts. Während die Furcht sich auf einen bestimmten Gegenstand bezieht, bezieht sich die Angst auf nichts, was Heidegger als Erfahrung der Bedeutungslosigkeit der Welt deutet: „Das Nichts, davor die Angst bringt, enthüllt die Nichtigkeit, die das Dasein in seinem Grunde bestimmt, der selbst ist als Geworfenheit in den Tod.“ (SZ 308)
Die Angst ist jedoch die wesentlichste Grundbefindlichkeit des Menschen, der gewöhnlich so lebt, wie man lebt, d.h. uneigentlich lebt. In der Angst wird ihm nun bewußt, daß er ein Einzelner ist, was die notwendige Bedingung dafür ist, daß er sich überhaupt entscheiden und verantwortlich handeln kann. Zweitens erfährt der Mensch in der Angst seine Freiheit, daß er über sein Seinkönnen bestimmen kann. Drittens erkennt er als Vereinzelter, daß er im eigentlichen Sinne und im uneigentlichen Sinne existieren kann (cf. , Über Heideggers ethische Skepsis, S.80f.) In der Angst lernt der Mensch, nicht mehr man-selbst, sondern er selbst zu sein, was die Voraussetzung entschlossenen Existierens ist.
Bei der eigentlichen Existenzweise entsteht das Problem, daß man davon nicht sprechen kann, solange das Dasein, d.h. der Mensch, noch nicht ganz ist, insofern das Dasein noch nicht das ganze Leben erfaßt und sich bewußt ist, daß es ein Sein zum Tode ist. Diesen Schritt vollzieht das Dasein in der Entschlossenheit, die in einem Vorlauf sich ihres Seins zum Ende bewußt ist. „Die Entschlossenheit wird eigentlich das, was sie sein kann, als verstehendes Sein zum Ende, d.h. als Vorlaufen in den Tod … Sie birgt das eigentliche Sein zum Tode in sich als die mögliche existentielle Modalität ihrer eigenen Eigentlichkeit.“ (SZ 305)
In traditionellen Begriffen ausgedrückt, heißt dies, daß nur ein Mensch, der in diesem Sinne sich seines ganzen, endlichen Seins bewußt ist und als er selbst autonom handelt, ein moralisches Subjekt oder eine moralisch handelnde Person ist. Nur als eigentlich existierender ist der Mensch ein verantwortliches Subjekt in dem Sinne, daß es sich seiner Verantwortung bewußt ist und sie bejaht.
Schoeps gegen den Nationalsozialismus
Diese Gedanken stehen hinter Schoeps’ fragmentarischen Hinweisen auf Heidegger. Nach seiner Meinung kann der Mensch das tragische Lebensgefühl und das damit gegebene Erlebnis des Nichts aushalten, wenn er die Haltung der illusionslosen Entschlossenheit einnimmt, die ihres Seins zum Tode bewußt ist und insofern dem Nichts standzuhalten vermag. Soweit ist die Beschreibung der existentiellen Erfahrung des Nichts und ihrer Bewältigung einigermaßen plausibel.
Doch wird diese Erfahrung bald dadurch ergänzt, daß Schoeps den Nationalsozialismus als nihilistische Bewegung auffaßt und bekämpft (S.101). Nach dem Krieg stimmt er Hermann Rauschning zu, daß der Nationalsozialismus eine „Revolution des Nihilismus“ gewesen sei: „Nihilismus besagt, daß das Nichts zum Lebensinhalt geworden ist, beziehungsweise daß alle positiven Lebensinhalte vernichtet worden sind.“ (S.220)
Diesen Gedankengang zusammenfassend kann man sagen, daß Schoeps im Sinne Heideggers eine wesentliche Voraussetzung moralischen Handeln in der Entschlossenheit des Menschen sieht, als er selbst im Bewußtsein seiner Endlichkeit zu handeln. Er beruft sich auf die These Heideggers über das eigentliche Existieren des Menschen, um gegen den NS-Nihilismus Widerstand zu leisten.
Schließlich sei auf eine Überlegung in Sein und Zeit hingewiesen, die als eine Beschreibung des Verhaltens in einem totalen Staat aufgefaßt werden kann. Heidegger hat auf die entlastende Funktion des "Man" hingewiesen, das dem einzelnen die Verantwortung für sein Tun abnimmt. Das Beispiel zeigt, daß das "Man", als das ‚Subjekt‘ der Alltäglichkeit (SZ 114), nicht ein moralisches Subjekt sein möchte, was nur das eigentliche Selbst sein kann. Implizit wird mit diesen Worten auch angedeutet, daß bei einem verantwortlichen Handeln vorausgesetzt wird, daß der Mensch selbständig handelt, d.h. selbst gewählt hat oder, wie Heidegger, als notorischer Liebhaber von Substantiven, sagt, das Selbst gewählt hat.
Dieses Moment betont auch George Steiner, der zu der zitierten Stelle schreibt: „Diese Beobachtungen […] gehören zum Tiefsten, Schonungslosesten, was wir zum Verhalten des ‚Man‘ unter dem Totalitarismus haben. […] Das entfremdete Selbst, das Man, wird in fataler Weise von seiner moralischen Autonomie und daher von moralischer Verantwortung entlastet. Es kann keine sittliche Schuld kennen. Kurz, das Selbst des alltäglichen Daseins ‚ist das Man-selbst‘. Es ist das genaue Gegenteil von Eigentlichkeit, von der konkreten Einzigartigkeit des Daseins eines ‚eigens ergriffenen Selbst‘“ (Steiner, Martin Heidegger. 1989, 149).
Dieses Urteil stimmt mit der ethischen Interpretation, die Schoeps bei Sein und Zeit vornimmt, sachlich überein, wenngleich er die Konsequenzen nicht erfaßt, die Steiner aus dem Begriff des "Man" zieht. Wie dem auch sei, nach diesen fragmentarischen Ausführungen wird man wohl kaum behaupten können, Heideggers Engagement für Hitler ergebe sich zwangsläufig aus seiner Philosophie in Sein und Zeit.
Zum Schluß
Nach dem Krieg hat Schoeps sich in theologischer Hinsicht von Heidegger distanziert und behauptet, „daß die metaphysik-feindliche Philosophie Heideggers keine theologischen Anknüpfungspunkte“ biete (Julius H. Schoeps (Hg), Auf der Suche nach einer jüdischen Theologie. Der Briefwechsel zwischen Schalom Ben-Chorin und Hans-Joachim Schoeps. Frankfurt 1989, 46). Darauf hat Ben-Chorin (alias Fritz Rosenthal) in einem Brief vom 11.11.1949 geantwortet, er habe gerade in einer Schrift versucht, „die Position der negativen Anknüpfungspunkte der Theologie, insbesondere den Begriff der Angst (von der Angst vor dem Nichts – zur Gottesfurcht) aufzuweisen.“
Ich will diese kryptische Aussage nicht weiter kommentieren, sondern nur anmerken, daß auch Ben-Chorin Heidegger liest, um zu sehen, was sich aus der philosophischen Analyse der Erfahrung des Nichts folgern läßt. Die Briefstelle bestätigt, daß jene Analyse eine der folgenreichsten Theorien der modernen Existenzphilosophie ist.