Josef Quack

Klage um ein Rosenbeet




Willst du einen Tag lang glücklich sein, dann geh hin und betrinke dich. Willst du ein Jahr lang glücklich sein, dann geh hin und heirate. Willst du ein Leben lang glücklich sein, dann geh in den Garten.

Chinesisches Sprichwort

Nach einer mehr als fünfzigjährigen Tradition wurde im hiesigen Botanischen Garten ein anmutiges Rosenbeet mit den Rosen Ingrid Bergmann und Gloria Dei in diesem Frühjahr beseitigt. Die Rosen mußten einem Beet beliebig bunter Stauden weichen, sie wurden das Opfer des Übermuts des städtischen Gartenamtes. Normale Menschen können sich einen Blumengarten ohne Rosen nicht vorstellen, wohl können es die amusichen Gärtner von Frankfurt mit ihren obrigkeitsstaatlichen Allüren, unbelehrbare, geistig halbtote Beamtenseelen, mit denen man nichts Rechtes anfangen kann, klägliche Zeitgenossen.

So leidig diese Affäre ist, sie regte mich an, einen Blick auf die eminente kulturgeschichtliche Bedeutung der Rose als Symbol zu werfen. Aber gerade vor diesem Hintergrund nimmt sich der Verlust oder die Beseitigung der realen Rosen im Garten um so schmerzlicher aus.

Die Rose als Symbol hat eine außerordentlich große Spannweite der Bedeutung. Sie kommt als Sinnbild in dem tiefsten Glauben der Kirche ebenso vor wie in dem illusionslosen Unglauben eines Gottfried Benn.

Maria, die Mutter Jesu, wird Rosa mystica genannt. „Mystica“, mystisch, bedeutet hier nichts anderes als „geheimnisvoll“ im Sinn der christlichen Glaubenslehre. Rose aber wird sie genannt, weil die Rose das edelste, erhabenste, vollkommenste Gewächs der ganzen Schöpfung ist, und nur die vollkommenste Pflanze ein Sinnbild für den vollkommensten Menschen sein kann, als welcher Maria angesehen wurde.

Es überrascht nicht, daß die Romantik das schönste deutsche Gedicht über die Rosen hervorgebracht hat. Die Romantik hat zwar die Schönheit der Natur nicht entdeckt, doch zweifellos am tiefsten gedeutet und am eifrigsten besungen. So auch in dem folgenden Gedicht, „Das Feenland“ genannt:

Mit Rosen umweben
Der Sterblichen Leben
Die gütigen Feen;
Sie wandeln und walten
In tausend Gestalten,
Bald häßlich, bald schön.

Da wo sie gebieten
Lacht alles, mit Blüten
Und Grün emailliert;
Ihr Schloß von Topasen
Ist herrlich mit Vasen
Von Demant geziert.

Von Ceylons Gedüfte
Sind ewig die Lüfte
Der Gärten durchweht;
Die Gänge, statt Sandes,
Nach Weise des Landes,
Mit Perlen besät.

Seit Salomo nahte
Dem luftigen Staate
Kein Aeronaut.
Dies hat mir, nach Schriften
In Mumiengrüften,
Ein Sylphe vertraut.

Das Gedicht, das früher Hölderlin zugeschrieben wurde, stammt von Friedrich von Matthisson, einem Zeitgenossen Hölderlins. Das Original hat noch mehrere Strophen, aber die verkürzte und verdichtete Fassung, die ich von Adorno übernommen habe, ist meines Erachtens die ideale Form des Gedichts. Sein Sinn besagt, daß die Rosen eine derart edle und schöne Blume sind, daß sie unmöglich gemeiner, irdischer Herkunft sein können, sie sind vielmehr ein Geschenk der Märchenfeen an die Menschen. Man wird zugeben müssen, daß diese Deutung der Ausnahmeerscheinung der Blume gerecht zu werden versucht.

Merkwürdigerweise haben wir viele Frühlingsgedichte, viele Herbstgedichte und auch zahlreiche Wintergedichte, aber auffallend wenige Sommergedichte. Eines der schönsten Sommergedichte, eines der schönsten deutschen Gedichte überhaupt, stammt von Stefan George: „Es lacht in dem steigenden Jahr dir“.

Die Rose ist in diesen Versen das Sinnbild für menschliches Glück, genauer für den bescheidenen Anteil des Glücks, der dem Menschen zugemessen wird. Außerdem begegnet uns in diesen Zeilen der auf den ersten Blick paradox erscheinende Gedanke, daß der Mensch sich entschließen solle, glücklich zu sein. Der Gedanke ist aber nur scheinbar paradox. Gewiß, das Glück ist etwas, was dem Menschen von außen zukommt; doch muß er es auch haben wollen, gibt es doch tatsächlich Menschen, die nicht glücklich sein wollen. Wie auch immer, wenn es sich zeigt, muß der Mensch das Glück bei der Locke fassen.

Die zweite und dritte Strophen diesen außerordentlichen Gedichtes lauten:

Die wehende saat ist wie gold noch,
Vielleicht nicht so hoch mehr und reich,
Rosen begrüßen dich hold noch,
Ward auch ihr glanz etwas bleich.

Verschweigen wir was uns verwehrt ist,
Geloben wir glücklich zu sein,
Wenn auch nicht mehr uns beschert ist,
Als noch ein rundgang zu zwein.

In dieser Elegie auf ein Rosenbeet kann natürlich die skurrile Note nicht fehlen. Sie wird von Elias Canetti in seinem Roman „Die Blendung“ beigetragen. Dessen Held ist der Sinologe Professor Kien. Es ist darin die Rede von dem „Duft der Rosen, den er aus persischen Liebesgeschichten kannte“. D.h. so wie er die ganze Welt nur aus Büchern kannte, so kannte er auch die Rosen nur aus Büchern. Jedoch ist die Präsenz oder die Lebenskraft der Rosen so stark, daß man ihren Duft auch dann erlebt, wenn man nur ihre Beschreibung liest. Dieser tiefere Sinn des Zitats wird übrigens von den meisten Lesern überhaupt nicht bemerkt. Der Gedanke entspricht aber durchaus dem kuriosen Sprachverständnis der seltsamen Romanfiguren (cf. J.Q., Elias Canetti und Karl Kraus).

Gottfried Benn hat in seinen späteren Jahren seiner bitteren Trauer über die unwiderrufliche Endlichkeit des menschlichen Lebens in einem zarten Rosengedicht unvergeßlichen Ausdruck verliehen. Die Rosen sind hier das Symbol für die einmalig kostbare, aber begrenzte menschliche Existenz – gerade die Schönheit der Pflanze macht ihre unvermeidliche Vergänglichkeit um so bitterer, und diese Qualität ist es, die sie zum Sinnbild des einzigartigen menschlichen Lebens geeignet macht, das ebenso unvermeidlich begrenzt und endlich ist. Benn spricht von der radikalen Endlichkeit des menschlichen Lebens, entgegen allem Glauben an ein Auferstehen.

Wenn erst die Rosen verrinnen
aus Vasen oder vom Strauch
und ihr Entblättern beginnen,
fallen die Tränen auch.

Traum von der Stunde Dauer,
Wechsel und Wiederbeginn,
Traum – vor der Tiefe der Trauer
blättern die Rosen hin.

Wahn von der Stunden Steigen
aller ins Auferstehen,
Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen,
wenn die Rosen vergehn.

In seinem letzten Brief an seinen Freund F.W. Oelze hat er die letzten Zeilen dann widerrufen: „Jene Stunde wird keine Schrecken haben, seien Sie beruhigt, wir werden nicht fallen wir werden steigen.“

Schließlich sei an das jubelnde Lied über Paris erinnert, dessen Melodie sich gerne im Ohr festsetzt, gesungen von Dana Winner:

Paris, du bist wie eine Rose,
Paris, du bist einmalig schön.

Das Lob ist keineswegs übertrieben, aus gärtnerischer Sicht ist es mehr als gerechtfertigt, weil Frankreich die geschicktesten Rosenzüchter hervorgebracht hat.

J.Q. — 26. Aug. 2022

© J.Quack


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