Willst du einen Tag lang glücklich sein, dann geh hin und betrinke dich. Willst du ein Jahr lang glücklich sein, dann geh hin und heirate. Willst du ein Leben lang glücklich sein, dann geh in den Garten.
Nach einer mehr als fünfzigjährigen Tradition wurde im hiesigen Botanischen Garten ein anmutiges Rosenbeet mit den Rosen Ingrid Bergmann und Gloria Dei in diesem Frühjahr beseitigt. Die Rosen mußten einem Beet beliebig bunter Stauden weichen, sie wurden das Opfer des Übermuts des städtischen Gartenamtes. Normale Menschen können sich einen Blumengarten ohne Rosen nicht vorstellen, wohl können es die amusichen Gärtner von Frankfurt mit ihren obrigkeitsstaatlichen Allüren, unbelehrbare, geistig halbtote Beamtenseelen, mit denen man nichts Rechtes anfangen kann, klägliche Zeitgenossen.
So leidig diese Affäre ist, sie regte mich an, einen Blick auf die eminente kulturgeschichtliche Bedeutung der Rose als Symbol zu werfen. Aber gerade vor diesem Hintergrund nimmt sich der Verlust oder die Beseitigung der realen Rosen im Garten um so schmerzlicher aus.
Die Rose als Symbol hat eine außerordentlich große Spannweite der Bedeutung. Sie kommt als Sinnbild in dem tiefsten Glauben der Kirche ebenso vor wie in dem illusionslosen Unglauben eines Gottfried Benn.
Maria, die Mutter Jesu, wird Rosa mystica genannt. „Mystica“, mystisch, bedeutet hier nichts anderes als „geheimnisvoll“ im Sinn der christlichen Glaubenslehre. Rose aber wird sie genannt, weil die Rose das edelste, erhabenste, vollkommenste Gewächs der ganzen Schöpfung ist, und nur die vollkommenste Pflanze ein Sinnbild für den vollkommensten Menschen sein kann, als welcher Maria angesehen wurde.
Es überrascht nicht, daß die Romantik das schönste deutsche Gedicht über die Rosen hervorgebracht hat. Die Romantik hat zwar die Schönheit der Natur nicht entdeckt, doch zweifellos am tiefsten gedeutet und am eifrigsten besungen. So auch in dem folgenden Gedicht, „Das Feenland“ genannt:
Mit Rosen umweben
Der Sterblichen Leben
Die gütigen Feen;
Sie wandeln und walten
In tausend Gestalten,
Bald häßlich, bald schön.
Da wo sie gebieten
Lacht alles, mit Blüten
Und Grün emailliert;
Ihr Schloß von Topasen
Ist herrlich mit Vasen
Von Demant geziert.
Von Ceylons Gedüfte
Sind ewig die Lüfte
Der Gärten durchweht;
Die Gänge, statt Sandes,
Nach Weise des Landes,
Mit Perlen besät.
Seit Salomo nahte
Dem luftigen Staate
Kein Aeronaut.
Dies hat mir, nach Schriften
In Mumiengrüften,
Ein Sylphe vertraut.
Das Gedicht, das früher Hölderlin zugeschrieben wurde, stammt von Friedrich von Matthisson, einem Zeitgenossen Hölderlins. Das Original hat noch mehrere Strophen, aber die verkürzte und verdichtete Fassung, die ich von Adorno übernommen habe, ist meines Erachtens die ideale Form des Gedichts. Sein Sinn besagt, daß die Rosen eine derart edle und schöne Blume sind, daß sie unmöglich gemeiner, irdischer Herkunft sein können, sie sind vielmehr ein Geschenk der Märchenfeen an die Menschen. Man wird zugeben müssen, daß diese Deutung der Ausnahmeerscheinung der Blume gerecht zu werden versucht.
Merkwürdigerweise haben wir viele Frühlingsgedichte, viele Herbstgedichte und auch zahlreiche Wintergedichte, aber auffallend wenige Sommergedichte. Eines der schönsten Sommergedichte, eines der schönsten deutschen Gedichte überhaupt, stammt von Stefan George: „Es lacht in dem steigenden Jahr dir“.
Die Rose ist in diesen Versen das Sinnbild für menschliches Glück, genauer für den bescheidenen Anteil des Glücks, der dem Menschen zugemessen wird. Außerdem begegnet uns in diesen Zeilen der auf den ersten Blick paradox erscheinende Gedanke, daß der Mensch sich entschließen solle, glücklich zu sein. Der Gedanke ist aber nur scheinbar paradox. Gewiß, das Glück ist etwas, was dem Menschen von außen zukommt; doch muß er es auch haben wollen, gibt es doch tatsächlich Menschen, die nicht glücklich sein wollen. Wie auch immer, wenn es sich zeigt, muß der Mensch das Glück bei der Locke fassen.
Die zweite und dritte Strophen diesen außerordentlichen Gedichtes lauten:
Die wehende saat ist wie gold noch,
Vielleicht nicht so hoch mehr und reich,
Rosen begrüßen dich hold noch,
Ward auch ihr glanz etwas bleich.
Verschweigen wir was uns verwehrt ist,
Geloben wir glücklich zu sein,
Wenn auch nicht mehr uns beschert ist,
Als noch ein rundgang zu zwein.
In dieser Elegie auf ein Rosenbeet kann natürlich die skurrile Note nicht fehlen. Sie wird von Elias Canetti in seinem Roman „Die Blendung“ beigetragen. Dessen Held ist der Sinologe Professor Kien. Es ist darin die Rede von dem „Duft der Rosen, den er aus persischen Liebesgeschichten kannte“. D.h. so wie er die ganze Welt nur aus Büchern kannte, so kannte er auch die Rosen nur aus Büchern. Jedoch ist die Präsenz oder die Lebenskraft der Rosen so stark, daß man ihren Duft auch dann erlebt, wenn man nur ihre Beschreibung liest. Dieser tiefere Sinn des Zitats wird übrigens von den meisten Lesern überhaupt nicht bemerkt. Der Gedanke entspricht aber durchaus dem kuriosen Sprachverständnis der seltsamen Romanfiguren (cf. , Elias Canetti und Karl Kraus).
Gottfried Benn hat in seinen späteren Jahren seiner bitteren Trauer über die unwiderrufliche Endlichkeit des menschlichen Lebens in einem zarten Rosengedicht unvergeßlichen Ausdruck verliehen. Die Rosen sind hier das Symbol für die einmalig kostbare, aber begrenzte menschliche Existenz – gerade die Schönheit der Pflanze macht ihre unvermeidliche Vergänglichkeit um so bitterer, und diese Qualität ist es, die sie zum Sinnbild des einzigartigen menschlichen Lebens geeignet macht, das ebenso unvermeidlich begrenzt und endlich ist. Benn spricht von der radikalen Endlichkeit des menschlichen Lebens, entgegen allem Glauben an ein Auferstehen.
Wenn erst die Rosen verrinnen
aus Vasen oder vom Strauch
und ihr Entblättern beginnen,
fallen die Tränen auch.
Traum von der Stunde Dauer,
Wechsel und Wiederbeginn,
Traum – vor der Tiefe der Trauer
blättern die Rosen hin.
Wahn von der Stunden Steigen
aller ins Auferstehen,
Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen,
wenn die Rosen vergehn.
In seinem letzten Brief an seinen Freund F.W. Oelze hat er die letzten Zeilen dann widerrufen: „Jene Stunde wird keine Schrecken haben, seien Sie beruhigt, wir werden nicht fallen wir werden steigen.“
Schließlich sei an das jubelnde Lied über Paris erinnert, dessen Melodie sich gerne im Ohr festsetzt, gesungen von Dana Winner:
Paris, du bist wie eine Rose,
Paris, du bist einmalig schön.
Das Lob ist keineswegs übertrieben, aus gärtnerischer Sicht ist es mehr als gerechtfertigt, weil Frankreich die geschicktesten Rosenzüchter hervorgebracht hat.
In den Jahrzehnten, in denen der Botanische Garten in Frankfurt vom Botanischen Institut der Universität als Lehrgarten geleitet wurde, hatte er immer ein herrliches Rosenbeet mit Edelrosen und Heckenrosen als Musterbeispiel der natürlichen Schönheit, zur Freude und Erheiterung der Besucher, die in der wohlgefälligen Umgebung Erholung suchten. „Gärten erholen“, sagt Ernst Jünger und man konnte es damals auch in diesem Garten erfahren.
Als das städtische Gartenamt die Leitung des Botanischen Gartens übernahm, bestand eine der ersten Amtshandlungen der Behörde darin, das Rosenbeet durch ein Beet beliebiger Stauden zu ersetzen. In diesem Jahr beliebte es den Gartenbeamten, ausgerechnet an Stelle des ehemaligen Rosenbeetes ein Schotterbeet anzulegen, der Gipfel der Unnatur in einem Pflanzengarten! Während in anderen Bundesländern Schottergärten amtlich verboten sind, legt das Frankfurter Gartenamt ein solches Beet ausgerechnet im Botanischen Garten an. Es ist zum Weinen und nicht mehr wahr, daß dieser Garten zur Erholen dienen kann (cf. Klage um ein Rosenbeet).
Zu diesem Verfahren wäre zumindest zweierlei zu sagen.
♦ Erstens, in dem plumpen gärtnerischen Verhalten des Gartenamtes, das Rosen durch Schotter ersetzt, zeigt sich überdeutlich die Banausie dieser Gartenbeamten. Ausgerechnet Leute, deren Beruf in der Kultivierung der Natur besteht, haben nicht den geringsten Sinn für natürliche Schönheit, für die Anmut der Blumen, für die schönste aller Blumen, als die schon immer die Rose galt. Nicht umsonst wird sie seit Menschengedenken von den Dichtern besungen, als Rosa mystica, als bevorzugter Gegenstand bei Angelus Silesius, bis zu Brecht und Benn, als suggestiver Titel bei Umberto Eco, Der Name der Rose.
Von all dem scheinen die besagten Beamten keine Ahnung zu haben. Ihre Unbildung in Sachen natürlicher Gegenstände ist wahrhaft phänomenal, und es ist ein Rätsel, wie Menschen, die täglich mit Blumen und anderen Gewächsen umgehen, blind sein können für die Schönheit dieser Pflanzen, und die schönste aller Pflanzen aus ihrem Garten verbannen. Es ist kaum zu glauben, daß Pfleger des Gartens nicht sehen, daß es in Gärten nichts Häßlicheres geben kann als ein Schotterbeet.
♦ Zweitens muß man beklagen, daß sich in dem Verhalten des Gartenamtes, zum Hohn der erholungssuchenden Bürger, in krassester Form der Übermut des städtischen Amtes und ihrer Vertreter zeigt. Willkürlich und selbstherrlich ignorieren sie einen jahrzehntealten Brauch und opfern ihrer Geschmacklosigkeit die schönste Anlage des Gartens.
Wenn die Mißgestalt des Schotterbeetes nicht schon zu vermeiden war, so hätte man es an anderer Stelle anlegen können. Platz genug hätte es gegeben in einem Garten, dessen Flächen zum größten Teil ungepflegt sich selbst überlassen werden – mit der Folge, daß Gras und unpassende Kräuter die seltenen Pflanzen bedrängen und überwuchern.
An dem autoritären Beispiel des Gartenamtes zeigt sich nicht zuletzt wiederum eine Unart der Deutschen, die notorische Herrschsucht des Bürgers, dem ein bißchen Macht gegeben ist, und der Untertanengeist des beherrschten Bürgers, der die Unvernunft und die Uneinsichtigkeit des Gartenamtes, seine offensichtliche Banausie, ohne Protest hinnimmt.
Wer also in Frankfurt eine Rosenanlage sehen möchte, kann den Palmengarten aufsuchen, was allerdings Eintrittsgeld kostet.
Es gibt aber noch einen anderen Ort in Frankfurt, der einen Rosengarten besitzt: die Frauenfriedenskirche hat einen Innenhof mit einer herrlichen Rosenanlage, kostenlos jeder Zeit zu besuchen. Es ist übrigens der einzige moderne Kirchenbau in Frankfurt, neoromanisch gestaltet, der ein sakrales Flair hat.
Die Pflege der Rosen entspricht übrigens einer uralten kirchlichen Tradition der Kultivierung der Pflanzen und der Landschaft. Weinbau, Obstveredelung, Kräuterlikör, Champagner, erfunden oder zufällig gefunden, waren immer Sache der naturfrommen Mönche und Nonnen. So ist es überaus erfreulich, daß man im Innenhof dieser Kirche heute noch eine prächtige Rosenanlage besichtigen und bewundern kann, was der städtisch verwaltete Botanische Garten leider, leider nicht mehr zu bieten hat.